Die Jungfrauengeburt Jesu
Von Dr. Joseph Tkach
Jeweils am ersten Adventssonntag beginnt ein neues Kirchenjahr im liturgischen Kalender der Christen. Gemeinsam mit Weihnachten verkünden die Adventtage ein Schlüsselthema der christlichen Lehre – die Jungfrauengeburt Jesu.
In Übereinstimmung mit Matthäus 1,18-25 und Lukas 1,26-2,20 bestätigt das Apostolische Glaubensbekenntnis, dass Jesus „empfangen [wurde] durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“. Obwohl es nicht von den ursprünglichen Aposteln verfasst wurde, ist dieses Bekenntnis allgemein anerkannt als eine genaue Zusammenfassung der Hauptlehren der ersten Apostel. Der grundlegende Inhalt des Apostolischen Glaubensbekenntnisses war schon 215 n. Chr. in einem Dokument enthalten, das von Hippolytus zur Vorbereitung von Taufkandidaten benutzt wurde. Wiedergaben dieser grundlegenden Lehren tauchten in den nächsten Jahrhunderten an verschiedenen Orten auf, so auch in einem Kommentar zum Apostolischen Glaubensbekenntnis, der um das Jahr 400 n. Chr. von Tyrannius Rufinus verfasst wurde. Die von ihm seinerzeit untersuchte Fassung des Bekenntnisses entspricht im Wesentlichen dem Apostolischen Glaubensbekenntnis, das heute von vielen Kirchen verwendet wird (einschließlich GCI/WKG).
Obwohl die frühen Fassungen des Bekenntnisses dieselben zentralen doktrinären Auffassungen (die sogenannte „Glaubensregel“) enthielten, wichen die Texte voneinander ab, was hauptsächlich auf die Verteidigung gegen verschiedene Häresien zurückzuführen ist. Einige der ersten Fassungen waren ziemlich ausführlich – hierzu nachfolgend der erste Teil einer von Tertullian geschriebenen Fassung:
Nun, mit Bezug auf diese Glaubensregel – die wir an dieser Stelle anerkennen und verteidigen – ist sie, wir ihr wissen müsst, diejenige, die den Glauben vorschreibt, dass es nur einen Gott gibt und dass er – und kein anderer – der Schöpfer der Welt ist, der alle Dinge erschaffen hat durch nichts als sein eigenes Wort, das als Erstes gesandt wurde; dieses Wort wird sein Sohn genannt und ist unter dem Namen Gottes „in unterschiedlicher Gestalt“ von den Erzvätern gesehen und durch die Propheten allezeit gehört worden; schließlich hervorgebracht worden durch den Heiligen Geist und die Kraft des Vaters in der Jungfrau Maria, in deren Leib er Mensch wurde und nach der Geburt als Jesus Christus wandelte.
Vergleichen Sie nun, was Tertullian geschrieben hat, mit den Sätzen am Anfang des Apostolischen Glaubensbekenntnisses:
Obwohl das Apostolische Glaubensbekenntnis kürzer ist (was ich sehr schätze!), stellen beide Aussagen die Schlüsselstellen der christlichen Lehre in Bezug auf Jesus dar: 1., dass der ewige Sohn Gottes sein Erdenleben durch einen besonderen Akt von Gott dem Vater begann, 2., dass Jesus durch den Heiligen Geist empfangen wurde und 3., dass Jesus wirklich der Sohn einer menschlichen Mutter (Maria) war, die, als Jesus geboren wurde, eine Jungfrau war.
Es gibt natürlich Menschen, die die Lehre von der Jungfrauengeburt bestreiten (und somit das Apostolische sowie das Nicänische Glaubensbekenntnis ablehnen). Andere wiederum missdeuten diese Lehre, indem sie behaupten, dass Maria irgendwie als Co-Retterin mit Jesus an unserer Erlösung beteiligt sei. Wie das Johannes-Evangelium jedoch klar aufzeigt, ist unsere Erlösung (bei der es um „von Gott geboren“ geht) keine Sache, „die aufgrund von Abstammung noch durch menschliches Wollen, noch durch den Entschluss eines Mannes“ geschieht (Joh. 1,13 NGÜ). T.F. Torrance (1913-2007), einer der bedeutendsten englischsprachigen Theologen des 20. Jahrhunderts, kommentierte:
Die Jungfrauengeburt … schließt die Vorstellung aus, dass Gott und der Mensch [bei der Erlösung] zusammenarbeitende Partner seien … Durch die Jungfrauengeburt Jesu ereignete sich ein Akt, der unter dem souveränen Willens Gottes stattfand, in dem Gott der alleinige Herr und Meister war; somit ist die Geburt einzig und allein durch den souveränen Willen Gottes begründet ( Incarnation. The Person and Life of Christ, Seite 99).
Durch die Jungfrauengeburt Jesu hat sich Gott durch seine eigene souveräne Entscheidung mit uns Menschen verbunden. Maria ist deshalb keine Mit-Erlöserin, doch T.F. Torrance weist darauf hin, dass sie ein Vorbild gehorsamen Glaubens ist, den sie als Antwort auf die Gnade Gottes zeigte:
Gnade hat in der Geburt Jesu eine Gestalt angenommen, die wir als Muster oder Norm unseres gesamten Verständnisses über Gnade zugrunde legen dürfen. Hier hat Gott die Initiative ergriffen und sich durch die Botschaft seines Engelsboten an Maria gewandt – die Botschaft an Maria ist das Wort der Auserwählung oder Gnade: Sie ist auserwählt und wird von der Erwählung Gottes unterrichtet. Sie muss hierbei nichts tun, außer das Wirken des Heiligen Geistes in ihr geschehen lassen. Was Maria tat, bestand einfach darin, die Botschaft anzunehmen und zu glauben, was sie nicht aus eigener Kraft vermochte, sondern in der Kraft, die ihr vom Herrn verliehen wurde; und aufgrund dessen ist sie gesegnet, nicht aufgrund ihrer Jungfräulichkeit … Das Wort, das Maria hörte und empfing, dem sie gehorchte, wurde Fleisch von ihrem Fleisch. Das ist das normative Muster für die Gläubigen hinsichtlich ihrer Einstellung gegenüber dem Wort, das durch das Evangelium verkündet wird, das Männern und Frauen vom göttlichen Akt der Gnade und Entscheidung, der für sie in Christus getätigt wurde, berichtet (ebenda, Seite 101).
Wie der Apostel Paulus in Epheser 2,8 schreibt, sind wir durch Gottes Gnade gerettet, nicht durch unsere Werke. Es ist das gnädige Werk des dreieinigen Gottes für uns, das uns rettet. Unsere Werke (und die Werke irgendeiner anderen Person, einschließlich der von Maria) vollbringen nicht diese Errettung. Stattdessen sind wir durch den Glauben (auch ein Geschenk Gottes) von Gott geboren und erhalten mithilfe des Heiligen Geistes die Erlösung, die Jesus Christus für uns bereits vollbracht hat. Bitte beachten Sie folgenden Kommentar von T.F. Torrance:
Was ein für alle Mal geschah, in absoluter Einzigartigkeit in Jesus Christus, geschieht in allen Fällen der Wiedergeburt in Christus. Ebenso wie er von oben her vom Heiligen Geist geboren wurde, so sind auch wir von oben her geboren vom Heiligen Geist durch die Teilhabe an seiner Geburt (ebenda, S. 102).
Dietrich Bonhoeffer bietet eine ähnliche Betrachtung zum Wunder der Menschwerdung, die wir während der Advents- und Weihnachtszeit feiern:
Nur die Demütigen glauben ihm und freuen sich, dass Gott so freigebig und wunderbar ist, dass er Wunder vollbringt, wo Menschen verzweifeln, dass er sich der Kleinen und Niedrigen annimmt, macht ihn großartig. Und das ist das Wunder aller Wunder, dass Gott die Geringen liebt … Gott schämt sich nicht der Niedrigkeit der Menschen. Gott geht auf sie zu. Er erwählt Menschen zu seinen Werkzeugen und wirkt Wunder, wo man sie am wenigsten erwartet. Gott kümmert sich um das, was niedrig ist; er liebt die Verlorenen, die Verachteten, die Unscheinbaren, die Ausgestoßenen, die Schwachen und Gebrochenen ( God Is in the Manger: Reflections on Advent and Christmas [dt.: Gott in der Krippe: Meditationen zu Advent und Weihnachten], Seite 22).
Mögen wir uns diesen Worten von T.F. Torrance und Dietrich Bonhoeffers mit einem von Herzen kommenden Amen anschließen.
Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen: Ein jeder Geist, der bekennt, dass Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist, der ist von Gott; und ein jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Antichrists, von dem ihr gehört habt, dass er kommen werde, und er ist jetzt schon in der Welt (1. Joh. 4,2-3).
Wie ich bereits in meinem vorherigen Brief [1] ausführte, ist die Jungfrauengeburt Jesu ein wichtiger Teil der Doktrin über die Inkarnation. Sie erklärt, dass der Sohn Gottes voll und ganz Mensch wurde, während er blieb, was er war – der ewige Sohn Gottes. Die Tatsache, dass die Mutter Jesu, Maria, eine Jungfrau war, war ein Zeichen dafür, dass sie nicht durch menschliche Initiative oder Beteiligung schwanger werden würde. Die außereheliche Empfängnis im Schoß Marias geschah durch das Wirken des Heiligen Geistes, der die menschliche Natur Marias mit der göttlichen Natur des Sohnes Gottes verband. Der Sohn Gottes nahm dadurch das ganze menschliche Dasein an: von der Geburt bis zum Tod, bis zur Auferstehung und Himmelfahrt und lebt nun für immer in seiner verherrlichten Menschlichkeit.
Es gibt Leute, die sich über die Überzeugung lustig machen, dass die Geburt Jesu ein Wunder Gottes war. Diese Skeptiker verunglimpfen die biblische Aufzeichnung und unseren Glauben daran. Ich finde ihre Einwände ziemlich paradox, denn während sie die Jungfrauengeburt als absurde Unmöglichkeit betrachten, vertreten sie ‚ihre eigene Version einer Jungfrauengeburt‘ im Zusammenhang mit zwei grundlegenden Behauptungen:
Zur Unterstützung der ersten Behauptung sagt der Physiker Stephen Hawking Folgendes: „Das Universum kann sich selber aus dem Nichts erschaffen. Eine spontane Schöpfung ist der Grund, dass es doch etwas gibt als gar nichts; deshalb existieren wir (> The Grand Design , Seite 180). Der Philosoph Quentin Smith hat es so ausgedrückt: „Es ist eine Tatsache, dass der am besten begründete Glaube darin besteht, dass wir aus dem Nichts, ohne Ursache und ohne Zweck gekommen sind. Wir sollten anerkennen, dass unsere Grundlage im Nichts besteht, und über die wunderbare Tatsache staunen, dass wir kurzzeitig am unbeschreiblichen Sonnenschein teilhaben dürfen, der ohne Grund die Herrschaft des Nichtseins unterbricht“ (The Metaphilosophy of Naturalism, Philo 4.2., 2000).
Obwohl Skeptiker wie Hawking und Smith ihre eigenen Modelle von jungfräulichen Geburten vertreten, halten sie es für ein faires Spiel, Christen zu verspotten, weil sie an die Jungfrauengeburt Jesu glauben, die ein Wunder von einem persönlichen Gott erfordert, der die ganze Schöpfung durchdringt. Muss man nicht annehmen, dass diejenigen, die die Inkarnation als unmöglich oder unwahrscheinlich ansehen, zwei unterschiedliche Maßstäbe anlegen?
Die Heilige Schrift lehrt, dass die Jungfrauengeburt ein Wunderzeichen Gottes war (Jes. 7,14), das dazu bestimmt war, seine Absichten zu erfüllen. Die wiederholte Verwendung des Titels "Sohn Gottes" bestätigt, dass Christus von einer Frau (und ohne Beteiligung eines Mannes) durch die Kraft Gottes empfangen und geboren wurde. Dass dies wirklich geschehen ist, bestätigt der Apostel Petrus:
Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen (2. Petr. 1,16).
Die Aussage des Apostel Petrus (zusammen mit anderen ähnlichen Aussagen des Neuen Testaments) liefert eine klare, beweiskräftige Widerlegung aller Behauptungen, dass der Bericht über die Inkarnation, einschließlich der Jungfrauengeburt Jesu, ein Mythos oder eine Legende sei. Die Tatsache der Jungfrauengeburt bezeugt das Wunder einer übernatürlichen Empfängnis durch Gottes eigenen göttlichen, persönlichen Schöpfungsakt. Die Geburt Christi war in jeder Hinsicht natürlich und normal, einschließlich der gesamten Periode der menschlichen Schwangerschaft im Mutterleib Marias. Damit Jesus jeden Aspekt der menschlichen Existenz erlösen konnte, musste er alles auf sich nehmen, alle Schwächen überwinden und unsere Menschlichkeit von Anfang bis Ende in sich selbst regenerieren. Damit Gott den Bruch heilen konnte, den das Böse zwischen ihm und die Menschen gebracht hatte, musste Gott in sich selbst ungeschehen machen, was die Menschheit getan hatte.
Damit Gott sich mit uns versöhnen konnte, musste er selbst kommen, sich offenbaren, sich unser annehmen, um uns dann zu sich führen, ausgehend von der wahren Wurzel menschlichen Seins. Und genau das hat Gott in der Person des ewigen Sohnes Gottes getan. Während er voll und ganz Gott blieb, wurde er vollkommen einer von uns, so dass wir in ihm und durch ihn eine Beziehung und die Gemeinschaft mit dem Vater, im Sohn, durch den Heiligen Geist haben können. Der Autor des Hebräerbriefes weist mit folgenden Worten auf diese erstaunliche Wahrheit hin:
Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er's gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel, und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten. Denn er nimmt sich nicht der Engel an, sondern der Kinder Abrahams nimmt er sich an. Daher musste er in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes (Hebr. 2,14-17).
Bei seinem ersten Kommen wurde der Sohn Gottes in der Person des Jesus von Nazareth buchstäblich Immanuel (Gott mit uns, Matth. 1,23). Die jungfräuliche Geburt Jesu war die Ankündigung Gottes, dass er alles im menschlichen Leben von Anfang bis Ende in Ordnung bringen wird. Bei seinem zweiten Kommen, das noch bevorsteht, wird Jesus alles Böse überwinden und besiegen, indem er allen Schmerzen und dem Tod ein Ende setzt. In Erwartung dieses großartigen Tages schrieb J.R.R. Tolkien, dass „die Geburt, der Tod und die Auferstehung Jesu bedeuten, dass eines Tages alles, was traurig macht, nicht mehr geben wird“. Der Apostel Johannes drückte es so aus: „Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!" (Offb. 21,5).
Ich habe erwachsene Männer weinen sehen, die die Geburt ihres Kindes miterlebt hatten. Manchmal sprechen wir zu Recht von "dem Wunder der Geburt". Ich hoffe, Sie sehen die Geburt Jesu als das Wunder der Geburt des Einen, der wirklich "alles neu macht".
Lasst uns hierüber freuen und gemeinsam das Wunder der Geburt Jesu feiern. ❏