Warum ist Jesus so wichtig?
Jesus hat häufig über sich selbst gesprochen. Warum tat er das?
Der britische Theologe John Stott (1921-2011) hat diese Frage in seinem Buch Basic Christianity (dt: Der christliche Glaube: Eine Einführung) angesprochen: „Das Auffälligste an der Lehre Jesu ist, dass er viel über sich selbst sprach. Ebenso redete er oft über die Vaterschaft Gottes und das Reich Gottes. Er machte deutlich, dass er der Sohn des Vaters sei und dass er gekommen sei, um das Reich Gottes zu errichten. Der Eintritt in das Reich hänge davon ab, wie die Menschen auf ihn reagieren. Er zögerte nicht einmal, das Reich Gottes 'mein Reich' zu nennen.“
Stott geht in seinem nächsten Absatz auf diese Besonderheit der Evangelien ein und stellt sie in den Kontext der Weltreligionen: „Die Zentralität seiner Person in der Lehre unterscheidet Jesus von den anderen großen religiösen Lehrern der Welt. Sie mussten sich bescheiden. Er wies auf sich selber hin. Sie wiesen die Menschen von sich weg und sagten: ‚Das ist die Wahrheit, soweit ich sie wahrnehme; folgt ihr.‘ Jesus sagte: ‚Ich bin die Wahrheit; folgt mir.‘ Keiner der Gründer der außerchristlichen Religionen hat es je gewagt, so etwas zu sagen“ (Seite 23).
Diese Aussagen allein würden Jesus in der Religionsgeschichte hervorheben. Aber es geht noch weiter. Dieser Jesus der Evangelien war im Gegensatz zu dem populären Bild, das man sich von ihm macht, sehr interessiert daran, wie er aufgenommen wurde. „Wer, sagen die Leute, dass ich sei?“, fragte er einmal seine Jünger. Und dann: „Wer sagt ihr, dass ich sei?“ (Mk 8,27-30).
„Ehe Abraham wurde, bin ich“; „Hier ist mehr als Salomo“. „Hier ist mehr als Jona“. „Wenn du erkenntest, wer der ist, der zu dir sagt …“, rief er der Samariterin zu (Joh 4,10). Wie lässt sich dieses recht ungewöhnliche Thema in den Evangelien erklären?
Der Mann, den die meisten Menschen als den größten Morallehrer bezeichnen, den die Welt je gesehen hat, der Mann, der Sanftmut gepredigt und vorgelebt hat, der ein Beispiel dafür gegeben hat, wie man sich bis zum qualvollen Tod für andere einsetzt – dieser Jesus von Nazareth hat sich auf eine Weise ausgedrückt, die ihm den Vorwurf des Egoismus einbringen könnte. Seine religiösen Gegner hatten ein anderes Wort dafür: Gotteslästerung!
Erinnern Sie sich an die empörten Zuhörer in Johannes 8?
Unter dem Ansturm intensiver Debatten gab Jesus seine ganz typischen Aussagen über seine Identität ab: „Ich bin von Gott ausgegangen“, „Weil ich aber die Wahrheit sage“, „Wer unter euch kann mich einer Sünde überführen?“ „Wer mein Wort hält, der wird den Tod nicht sehen in Ewigkeit.“
Die religiösen Führer waren verblüfft. „Bist du mehr als unser Vater Abraham?“, schossen sie zurück. „Was machst du aus dir selbst?“
Jesus erwiderte: „Ihr kennt ihn [Gott, meinen Vater] nicht, ich aber kenne ihn.“
Dann kam sein kühnstes Zeugnis: „Abraham, euer Vater, wurde froh, dass er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und freute sich. ... Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham wurde, bin ich“ (Joh 8,56-58).
Das war's. Sie hoben Steine auf, um sie nach ihm zu werfen. Seine Aussagen sprengten alle ihre Kategorien.
Sie taten es damals und tun es heute, wenn religiöse Menschen in der westlich geprägten Welt in Stimmung für eine religiöse Diskussion sind. Religiöse Hobbyisten, so genannte aufgeklärte Menschen, unsere Nachbarn und Arbeitskollegen, sie können manchmal bis zum Gehtnichtmehr über Gott reden. Ist Ihnen das schon einmal aufgefallen? Es macht ja Spaß, über Gott zu spekulieren – ob es ihn gibt, welche Rolle er spielt – wenn er eine spielen sollte – und welche Bedeutung er hat – wenn er eine haben würde. Aber wenn man „Jesus“ erwähnt, wird es ein bisschen unangenehm. Da sind die angeblichen Wunder, die kennt man. Es gibt diese Behauptungen über eine Auferstehung, das weiß man. Und dann sind da noch diese peinlichen Aussagen. Nein, dieser junge Rabbi aus Nazareth hat nicht allzu viel Raum für Spekulationen übriggelassen.
Danach gibt es nicht mehr viel zu sagen, außer vielleicht „Beweise es!“ Buddha hat eine solche Behauptung nicht aufgestellt. Zarathustra hat das nicht gesagt. Konfuzius hat sich nicht einmal mit der „Gottesfrage“ beschäftigt. Mohammed lehrte nicht annähernd in diesem Sinne.
Es ist dieses kühne, offene, selbstbewusste Selbstverständnis Jesu als Gott, das uns ein wenig den Atem raubt.
„Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Dieser kraftvolle Gedanke in Johannes 14 unterstreicht einen der sieben „Ich bin“-Verse im Buch Johannes. Schon ein kurzer Überblick über diese Texte kann helfen, die Titel-Frage zu beantworten:
Vielen Kommentatoren ist im Laufe der Jahrhunderte aufgefallen, dass Jesus sich im Johannesevangelium in sieben primären Wortbildern oder Metaphern beschreibt, die mit dem Minisatz „Ich bin“ verbunden sind. Hier sind sie:
Ich bin das Brot des Lebens (Joh 6,35, 51).
Ich bin das Licht der Welt (Joh 8,12).
Ich bin die Tür (Joh 10,7, 9).
Ich bin der gute Hirte (Joh 10,11, 14).
Ich bin die Auferstehung und das Leben (Joh 11,25).
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh 14,6).
Ich bin der wahre Weinstock (Joh 15,1, 5).
Gorge Beasley-Murray (Professor für Exegese des Neuen Testaments, 1916-2000) hat in seinem Word Commentary (Wortkommentar) zum Johannesevangelium darauf hingewiesen, wie oft das Thema des Lebens in dieser Formel auftaucht. In der Tat ist „Leben“, griechisch zoe, eines der charakteristischen Wörter des Johannes, das auf Johannes 1,4 zurückgeht. Beasely-Murray erklärt: „Wie der Sohn durch den Vater lebt, d. h. sein Leben vom Vater hat und von ihm erhalten wird, so hat der Gläubige das Leben vom Sohn und wird von ihm erhalten ... der Vater hat dem Sohn gegeben, das Leben in sich selbst zu haben, und nur durch ihn kann der Mensch dieses göttliche Leben erkennen“ (Seite 95). Der Sohn ist gekommen, um uns göttliches, ewiges Leben zu bringen, nicht diese bloße chemische Existenz, wie sie die Israeliten hatten, was sich dadurch veranschaulicht, dass sie vorübergehend lebensspendendes Manna aßen, um in der Wüste zu überleben. Jesus bringt göttliches Leben, das Leben der Gottheit selbst, Leben auf einer viel höheren Ebene, als wir es uns vorstellen können. Diese Aufwärtsorientierung zum wahren Leben in uns beginnt jetzt in dieser Welt. Es ist unsere innere Motivation, uns zu verändern, uns einen neuen Anreiz für ein heiliges Leben zu geben, ein Gefühl des immer neuen Anfangs, das in uns aufkeimt. Jesus hat das gesagt. Das ist es, was er angeboten hat (Joh 4,14).
Kein vernünftiger Mensch hat je so gesprochen wie Jesus. Nach der Speisung der 5000 hat Jesus die bildliche Aussage über das Brot des Lebens auf eine neue Ebene gehoben. In Johannes 6: 53-54 sagt er: „Wenn ihr nicht esst das Fleisch des Menschensohns und trinkt sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken.“ Das sind Worte, die weder in den hinduistischen Veden noch bei Shakespeare oder im Koran stehen. Jesus behauptet, dass er selbst die einzige nachhaltige geistige Nahrung für die Welt ist. Er ist die einzige Voraussetzung für wahres Leben. Ja, er sprach wieder über sich selbst, und dieses Mal waren seine Behauptungen so gewaltig, dass viele seiner Jünger ihn verließen (Joh 6,66).
Die nächste „Ich bin“-Aussage unterstreicht dies. „Ich bin das Licht der Welt“, sagt er in Johannes 8,12. Diese Aussage wurde beim jüdischen Laubhüttenfest gemacht, als die Innenhöfe mit Fackeln und Leuchtern so hell erleuchtet wurden, dass die ganze Stadt erstrahlte. Die hellen Lichter unterstrichen den festlichen Charakter des achttägigen Festes (Joh 7,10-11). In 1. Mose 1 ist Licht das erste, was Gott schuf. Eine Feuersäule leitete Israel in der Wüste. Aber genau dort, in den Tempelhöfen, erhebt Jesus den Anspruch, die einzige wahre Quelle der Erleuchtung für die Menschheit zu sein, unser leuchtender Wegweiser durch die einhüllende Finsternis dieser sterbenden Welt. Jesus ist dies und mehr, denn er fügt hinzu: „Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Dieses starke Bekenntnis löste einen erbitterten Streit mit den Führern des Tempels aus. Er endete in der oben zitierten Passage, in der dieser galiläische Besucher behauptete, dass er vor Abraham lebte.
Der Anspruch, das Licht der Welt zu sein, fügt der Bedeutung Jesu eine weitere Dimension hinzu. Er vertieft, was Johannes bereits in Johannes 1,4 einleitete: „dass das Leben das Licht der Menschen war“. Der Unterschied zwischen der Nachfolge Jesu und der jedes anderen religiösen Führers ist der Unterschied zwischen Licht und Dunkelheit. Das ist ein einfacher, aber tiefgreifender Punkt. Jesus als das wahre Licht, sagt der Autor R.V.G. Tasker, „öffnet den Menschen die Augen für ihr geistliches Verständnis und führt sie in die Wahrheit über sich selbst und darüber, was Gott getan hat, um ihre dringendsten Bedürfnisse zu befriedigen“ (Tyndale Commentary: The Gospel according to St. John, Seite 113). Wer Jesus für einen anderen geistlichen Führer aufgibt, verpasst das, was in der Religion am wichtigsten ist – die Wahrheit vom Irrtum zu unterscheiden.
„Ich bin die Tür“ in Johannes 10,7 unterstreicht die starken Aussagen, die Jesus bisher aufgestellt hat. Letztlich gibt es keinen anderen Weg zu Gott als den über Jesus Christus. Heute stört diese kühne Exklusivität die Menschen. Jesus ist immer noch ein Fels des Anstoßes (1. Petr 2,8). Andere Lehrer haben einige gute Lebensgrundsätze aufgestellt und faszinierende Philosophien entwickelt, aber Jesus ist kein Philosoph. Er ist auch kein philosophisches oder theologisches Prinzip, über das man streiten könnte. Er ist auch kein kulturelles Überbleibsel, ein verblassender Abdruck aus der viktorianischen Ära. Türen bieten Zugang, und Paulus lehrte die Epheser, dass „wir durch ihn Zugang zum Vater haben“ (Eph 2,18). Mose hatte ein Gefühl für die Unermesslichkeit Gottes. Jesaja und die Propheten Israels schrieben ergreifend über den Gott, den sie kannten, aber Jesus verschafft uns den Zugang. Er kommt aus dem Herzen des dreieinigen Gottes – des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes –, um uns dorthin zu bringen, uns auszurüsten und dann wieder hinauszusenden (2. Kor 5,20). In einem sehr realen Sinn sind wir durch ihn bereits mit eingesetzt im Himmel (Eph 2,6).
Die frühen Kirchenväter haben das erkannt. Einer von ihnen schrieb: „Wenn Jesus uns zum Vater führt, nennt er sich selbst eine Tür, wenn er sich um uns kümmert, einen Hirten.“ Und in der Tat folgt die Hirtenanalogie – eines der berühmtesten und liebenswertesten Wortbilder der Heiligen Schrift – gleich darauf. Es gibt nur einen Unterschied. Jesus nennt sich selbst „der gute Hirte“.
Im Griechischen ist das Wort für „gut“ hier nicht einfach das Wort „agathos“, das sich auf die moralische Tugend bezieht. Es ist „kalos“, das ist der Sinn, der in der Formulierung „der gute Arzt“ oder „eine gute Mutter“ zum Ausdruck kommt. Kalos drückt das Mitgefühl und die Güte aus, die Jesus mit sich bringt. Jesus hat immer etwas für andere Menschen getan. „Guter Meister“ riefen ihm die Leidenden zu. Welch ein Unterschied gegenüber den allzu vielen Weltreligionen! Die heidnische Anbetung bedeutete, wie vieles heute, dass man zur Stelle war – man war verpflichtet, etwas für den Gott zu tun. Aber die Israeliten kannten einen Gott, der etwas für sie tat. Jesus verkörpert diese Haltung in höchstem Maße. Er verspricht, uns zu den lebendigen Wasserquellen zu führen und uns mit ewiger Nahrung zu versorgen (Offb 7,16-17).
Wieder einmal sehen wir, welch wichtigen Plan Gott hatte, als er Jesus in der Fülle seiner Gottheit im Fleisch unter uns sandte (Kol 2,9). Er sollte uns die tiefste und reichste Erfahrung des Lebens ermöglichen.
Kurz vor der Auferweckung des Lazarus hatte Jesus ein ziemlich intensives Gespräch mit den Schwestern des Toten. Sie wussten, wenn Jesus da gewesen wäre, hätte er ihren Bruder heilen können. Als Jesus erwiderte, dass ihr Bruder wieder leben würde, zitierte Martha das jüdische Glaubensbekenntnis, dass die Toten am letzten Tag wieder leben würden. Jesus antwortete mit einer sehr kühnen „Ich bin“-Aussage: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“, sagte er, „wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben“ (Joh 11,25-26). Jesus bewies den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung, indem er einen Toten direkt vor den Augen der Jerusalemer Hierarchie auferweckte. Dies ist einer der Höhepunkte des Johannes-Evangeliums. Nach Ansicht des Verfassers des Johannesevangeliums macht diese Handlung den Tod Jesu unausweichlich – seine Feinde mussten ihn nun aufhalten (Joh 11,45-50).
Jesus als die Auferstehung und unser Leben bedeutet, dass selbst der Tod nur eine Zwischenstation auf unserem Weg mit ihm zum wahren Leben ist. Als ein mittelalterlicher Heiliger im Sterben lag, sagte er zu den Menschen um ihn herum: „Weint nicht, denn wenn ich das Land der Sterbenden verlasse, vertraue ich darauf, den Segen des Herrn im Land der Lebenden zu sehen.“ In Offenbarung 14,13 heißt es: „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben.“ Was für eine wunderbare Hoffnung. Einer der wichtigsten Gründe für das Kommen Jesu war, uns von der Furcht vor dem Tod zu befreien (Hebr 2,14-15). Andere religiöse und moralische Lehrer hatten und haben vielleicht Wahrheiten, aber Jesus ist die Wahrheit in Person. Wie er selbst sagte:
Die letzte „Ich bin“-Aussage erhebt Jesus für seine Anhänger damals wie heute zur höchsten Priorität. Jesus ist der Weinstock, sagte er, und wir sind die Reben (Joh 15,5). Wenn wir mit ihm verbunden bleiben, können wir mehr und mehr darüber lernen, wer er ist und welche Aufgaben er uns in unserer Zeit gestellt hat. Der schottische Autor und Theologe William Barclay (1907 – 1978) bemerkte, dass wir Jesus im Gegensatz zu anderen menschlichen Lehrern umso mehr bewundern und verehren, je besser wir ihn kennen. Er ist der Einzige und Einzigartige. Er ist wahrhaftig jenseits unseres Verstandes, doch er weint bei der Beerdigung eines Menschen und ist gerührt und bewegt von unseren Hilferufen. Und er kommt zu uns, um uns zu sagen: „Seid getrost, ich habe die Welt und alles, was sie euch antun kann, überwunden“ (Joh 16,33).
Kann es etwas oder jemanden geben, das oder der wichtiger ist als er? ❏