Haben alle Menschen den Heiligen Geist?

Von Ted Johnston

Zum wesentlichen Verständnis der Trinitarischen Christuszentrierten Theologie [1] gehört die Erkenntnis, dass Gott jeden Menschen in seine Liebe und sein Leben einbezogen hat. Dies verdanken wir Jesus durch seine Menschwerdung, sein Leben, seinen Tod, seine Auferstehung und Himmelfahrt und durch das, was er zu Pfingsten tat, als er den Heiligen Geistes auf die gesamte Menschheit ausgoss. Behaupten wir nun, dass alle Menschen den Heiligen Geist erhalten haben? Es gibt mehrere Faktoren, die zu berücksichtigen sind und auf die ich hier kurz eingehen werde.

Darstellung des Heiligen Geistes im Fenster von St. Peter
(public domain bei Wikipedia Commons)

Als Erstes geht es um das Wie und Wann unsere Berufung. Der Apostel Paulus schreibt im Römerbrief, dass Gott „die vorherbestimmt hat, die er auch berufen hat; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht“ (Röm 8,30). Hier spricht Paulus den weiten Bogen der Heilsgeschichte an, in dem er die ganze Menschheit als Aufgenommene in Christus sieht, was Jesus durch sein Leben, seinen Tod, seine Auferstehung und Himmelfahrt für alle Menschen vollbracht hat. Dies ist die objektive Realität der Heilsgeschichte verortet in der Person und im Werk Jesu Christi. Was Paulus hier sagt, ist wirklich eine phantastisch gute Nachricht für alle Menschen.

Wie Paulus jedoch feststellt, beinhaltet die Heilsgeschichte auch eine subjektive Realität. Durch den Heiligen Geist beruft Gott die einzelnen Menschen, damit sie die objektive Realität des Heils kennenlernen und dann auch persönlich empfangen können. In Kapitel 10 des Römerbriefes stellt Paulus infrage, wie diese persönliche Antwort zustande kommen könne, ohne dass die jeweilige Person davon gehört hat. Erst danach kann sie auf die objektive Realität des Evangeliums reagieren (Röm 10,9-15).

Es ist wichtig, hier anzumerken, dass diese subjektive/persönliche Reaktion bedeutungslos ist, wenn nicht zuerst die objektive Realität wahr ist (was zutrifft). Darüber hinaus kann kein Mensch davon hören (es verstehen) und auf die objektive Realität reagieren, wenn nicht zuvor der Heilige Geist über alle Menschen ausgegossen wurde, wie es der Apostel Petrus am Pfingsttag nach der Himmelfahrt Jesu verkündet hat (Apg 2,14-21). Anders ausgedrückt, jeder Aspekt der objektiven und subjektiven Realität unseres Heils ist in der Person Jesu Christi durch den Heiligen Geist eingebettet.

Aufgrund der objektiven Ausgießung des Heiligen Geistes auf alle Menschen an jenem Pfingsttag (ein wahrhaftig revolutionäres und atemberaubendes Ereignis in der Heilsgeschichte) ist es seitdem möglich, dass „jeder, der den Namen des Herrn anruft, gerettet wird“ (Apg 2,21). Manchmal lehnen Christen es ab, diese Ausgießung so zu sehen, dass alle Menschen von jenem Moment an „den Heiligen Geist haben“. Sie verstehen diesen besonderen Ausdruck wahrscheinlich so, als müssten demzufolge alle Menschen überall auf der Welt zu Christus bekehrt sein. Doch das ist nicht das, was die Trinitarische Christuszentrierte Theologie aussagt. Wenn sie so von Menschen sprechen, die „den Heiligen Geist haben“, spiegelt sich hierin typischerweise eine eingeschränkte Sichtweise zur Erlösung wider, die als bloße Transaktion betrachtet wird, bei der wir Gott unsere Reue und unseren Glauben geben, und im Gegenzug gibt er uns zum ersten Mal den Heiligen Geist (ein Missverständnis zu Apg 2,38) [2].

Die Wahrheit des Evangeliums ist, dass durch das Leben, den Tod, die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu und die Ausgießung des Heiligen Geistes alle Menschen überall und für alle Zeiten in Christus in die Liebe und das Leben Gottes einbezogen sind. Alle werden „in dem Geliebten angenommen“, wie Paulus in Epheser 1,6 (KJV, eigene Üs) sagt. Was jedoch objektiv für alle in Christus wahr ist, muss persönlich (subjektiv) empfangen werden. Aus diesem Grunde besteht der Dienst Jesu seit seiner Himmelfahrt darin, den Heiligen Geist in besonderer Weise „auf alles Fleisch“ zu senden (Apg 2,17), damit diejenigen, die ihre wahre Identität in Christus nicht kennen, die herrliche Wahrheit erfahren, Gottes Einladung zur Umkehr hören (ihr Denken über Gott und über sich selbst ändern), glauben (die Wahrheit im Glauben annehmen), dann ihr Kreuz auf sich nehmen und Jesus nachfolgen.

Wir würden nicht einmal darüber nachdenken, auch nur etwas davon zu tun, wenn Jesus es nicht auf sich genommen hätte und in der Menschheit ein „Heim“ für den Heiligen Geist geschaffen hätte. Er hat den Heiligen Geist ausgegossen, so dass Gott die Menschen „aus der Dunkelheit in sein wunderbares Licht“ (1 Petr 2,9), in „die Gemeinschaft mit seinem Sohn, Jesus Christus, unserem Herrn“ (1 Kor 1,9), berufen kann. Diese Berufung in Christus zu Gott (1 Thess 2,12, 1 Petr 5,10 und 2 Petr 1,3) ist das Werk des Heiligen Geistes – ein Werk, das Gott für uns durch die stellvertretende (ersatzweise, repräsentative) Menschlichkeit Jesu für uns initiiert und vollbracht hat.

So sind alle Menschen bereits in, von und durch Christus in einem objektiven Sinne zu Gott berufen. Diese Berufung wird zu unserer persönlichen (subjektiven) Erfahrung, wenn der Heilige Geist sich in besonderer Weise in unserem Leben bemerkbar macht. Das bedeutet nicht, dass der Heilige Geist zum ersten Mal zu uns kommt, sondern dass er jetzt auf eine bestimmte (oft geheimnisvolle) Weise in uns wirkt (uns antreibt).

Theologen bezeichnen diesen neuen Antrieb des Heiligen Geistes manchmal als die „persönliche Berufung“, um sie von der „allgemeinen Berufung“ zu unterscheiden, die durch die Verkündigung des Evangeliums an die ganze Menschheit ergeht (2 Thess 2,14). Der Heilige Geist, der souverän im Bewusstsein der Menschen wirkt, verwandelt die allgemeine Berufung in eine persönliche Berufung – er öffnet den Geist der Person und ruft sie auf, ihr Vertrauen in Gott zu setzen und Jesus zu folgen. Wenn Gott nicht im Verstand (Herzen) eines Menschen auf diese Weise wirkt, gibt es keine Möglichkeit, dass er zu Jesus kommen kann (offensichtlich weist der Apostel Johannes in Joh 6,44 hierauf hin). Ein Beispiel für diese persönliche Berufung findet sich in Apg 16,14, wo Gott Lydias Herz „aufgetan“ hat, „so dass sie das, was Paulus sagte, bereitwillig aufnahm“.

Wenn der Heilige Geist im Geist und im Herzen einer Person auf diese neue Weise wirkt, so wird diese Person von Gott gerufen, um individuell zu reagieren. Gott gibt ihr die Fähigkeit und damit die Freiheit, auf seinen Ruf mit ihrem persönlichen „Ja“ oder ihrem persönlichen „Nein“ zu antworten. Beachten Sie jedoch, dass Gott diese persönliche Antwort nie erzwingt, denn die Liebe verwendet nie Zwang als Taktik (die Schrift lehrt uns, „Gott ist Liebe“). Beachten Sie auch, dass unser „Ja“ zu Gott bedeutungslos ist, es sei denn, Gott hat zuerst „Ja“ zu uns gesagt, und Jesus in seiner Menschlichkeit stellvertretend für alle Menschen bereits sein „Ja“ zurück zu Gott gegeben.

Im Lichte dieser Freiheit, die Gott gewährt, verstehen wir die Bedeutung des Gebets in der persönlichen Evangelisation. Wir sind berufen zu beten, dass Gott eine bestimmte Person sowohl beruft und als auch dazu leitet, dass ihre persönliche Antwort in der Zustimmung besteht. Unsere Verantwortung setzt sich dann in unserer Berufung fort, die Botschaft des Evangeliums weiterzugeben, damit Gott unsere Worte als Teil seiner allgemeinen und persönlichen Berufung im Leben der Menschen verwenden kann.

Beachten Sie, dass es von entscheidender Bedeutung ist, Jesu Geburt, Leben, Tod, Begräbnis, Auferstehung, Himmelfahrt und seine Sendung des Heiligen Geistes als ein zusammenhängendes „Christusereignis“ zu sehen. Gott ging dadurch mit der Menschheit eine neue Beziehung ein, welche – sie von der Abstammung des „ersten Adam“ in die des „zweiten Adam“, der Jesus Christus ist, versetzte (siehe Römer 5). Die atemberaubende Wahrheit ist, dass durch das Christusereignis die Menschheit neu erschaffen wird.

In Anbetracht all dessen ist zu dem, was am Pfingsttag nach Jesu Himmelfahrt geschah, eine viel relevantere Frage zu stellen: In welchem Sinne wurde der Heilige Geist zu Pfingsten auf alles Fleisch (auf alle Menschen) ausgegossen? Zuerst ist es wichtig zu verstehen, dass dieses „Ausgießen“ eine neue Form der Aussendung des Heiligen Geistes von Jesus an die ganze Menschheit war (soweit es sich auf den Neuen Bund bezieht). Der Heilige Geist wurde nicht mehr nur zu einigen wenigen Personen in der Gemeinschaft unter dem Alten Bund gesandt. Von diesem Tag an wird der Heilige Geist zur ganzen Menschheit gesandt. Dies steht im Einklang mit den Prophezeiungen über das messianische Zeitalter (wie Petrus unter Berufung auf den Propheten Joel zeigt).

Natürlich war der Heilige Geist schon immer bei allen Menschen in dem Sinne, dass wir im dreieinigen Gott „leben, handeln und sind“ (Apg 17,28). Doch jetzt sendet Jesus den Heiligen Geist auf eine neue, persönliche Weise zur Menschheit – die persönliche Gegenwart Jesu selbst mit allen Menschen. Dietrich Bonhoeffer bezeichnete dies als Jesu „Innewohnen“ aller Menschen – das ist der Status der Menschheit heute aufgrund dessen, was Theologen als „hypostatische Vereinigung“ Gottes mit der Menschheit in der Person Jesu bezeichnen und wobei sie die Ausgießung des Heiligen Geistes auf die Menschheit einbeziehen.

Wissen alle Menschen von dieser Einbeziehung der Menschheit in Gottes Liebe und Leben – was Paulus als das bezeichnet, was Gott in Christus getan hat, um alle Menschen mit sich selbst zu versöhnen (2. Kor 5,17-20)? Nein, unsere wahre Menschlichkeit ist jetzt „verborgen in Christus“ (Kol 3,3) --- sie wird nicht gesehen und somit nicht von allen erfahren. Warum wissen nicht alle (vielleicht die meisten) Menschen hierüber Bescheid? Weil der Geist das Wunder, das von Theologen oft als „Erleuchtung“ bezeichnet wird, noch nicht vollbracht hat. Dieses Wunder wird zu jedem Menschen nach Gottes vollkommenen Plan kommen – genau zur richtigen Zeit für jeden einzelnen Menschen.

Dieses Timing liegt natürlich in Gottes souveränen Händen und bleibt für uns ein Geheimnis. Was wir jedoch tun sollen, ist kein Geheimnis – der Heilige Geist führt uns darin, mit Jesus zusammenzuarbeiten bei dem, was er durch die Kirche und in der Welt tut: – das Evangelium verkünden (die Wahrheit über die wahre Identität der Menschen in Christus) und dann den Menschen helfen, ihr Leben für Jesus einzusetzen und auch an seinem laufenden Missionswerk zu beteiligen. Dieses Werk geschieht, wenn der Heilige Geist den Menschen die Augen öffnet, um zu sehen, was sie noch nie zuvor gesehen haben. Dann werden sie bereuen, glauben, ihr Kreuz auf sich nehmen und Jesus nachfolgen.


[1] Die „Trinitarische Christuszentrierte Theologie“ zeigt auf, dass Erlösung etwas mit Beziehungen zu tun hat, nicht nur mit Verkündigungen oder Verhandlungen. Gott ist ein Gott des Bundes, nicht ein Gott des Vertrages. Wir lernen dies aus den Heiligen Schriften, worin die lebenswichtigen Bündnisbeziehungen beschrieben sind, welche die Grundlage unserer Erlösung bilden. Diese Beziehungen beinhalten Gottes eigene trinitarische Gemeinschaft (die ewige Beziehung zwischen Vater, Sohn und Geist) und die Beziehung zwischen dem dreieinen Gott und der Menschheit, die mit und durch Jesus Christus geformt wurde (siehe hierzu unser ebook „Einführung in die Trinitarische Christuszentrierte Theologie“).
[2] Zum Thema Bekehrung empfehlen wir unseren Artikel „Was bedeutet es, von Jesus angenommen zu werden?“).


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