Hat Gott das Böse erschaffen?

Von Bob Klynsmith

Das Böse ist allgegenwärtig. Oft bahnt es sich schleichend seinen Weg – sei es in Gestalt der Schrecken des Holocaust im Zweiten Weltkrieg oder des Völkermords in Ruanda in den 1990er-Jahren, sei es in Gestalt heutiger, erbarmungslos um sich greifender Untaten wie Entführungen, Vergewaltigungen, Morde, des Drogenmissbrauchs, der Pornografie, innerfamiliärer Misshandlungen, der Habgier und Korruption.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Die Tageszeitungen ergehen sich in ihrer Sensationsgier nach dem Bösen und entwerfen ein furchterregendes Spiegelbild einer Kultur ab, die trotz aller hoch entwickelter Technologie auf so schreckliche Weise auf Abwege geraten ist.

Wo liegen die Wurzeln des Bösen?
Was ist mit den verhängnisvollen Naturkatastrophen, deren Zeugen wir alle in den vergangenen Jahren wurden – jenen Vulkanausbrüchen, Erdbeben, Tsunamis, Überflutungen, Dürreperioden und Hurrikans, die mit ihren die Herzen aller erschütternden menschlichen Opfern eine Spur der Zerstörung hinterließen, die groteskerweise formaljuristisch als höhere Gewalt tituliert werden?

Wenn Gott doch diese Welt mitsamt ihrer Menschheit erschaffen hat, warum lässt er dann das Böse zu? Noch mehr Verwirrung stiftet die Frage: „Wie kann ein liebender Gott tatenlos zusehen, wie mein Vater, meine Mutter, meine Tochter oder mein Sohn bzw. ein guter Freund skrupellos umgebracht wird oder einer verheerenden Katastrophe zum Opfer fällt?“ und „Wo war der himmlische Vater, als das Erdbeben in Haiti sein Unheil anrichtete?“

H.G. Wells wird mit den Worten zitiert: „In Zeiten größter Not steht Gottes helfende Hand scheinbar nie zu Gebot.“ Welch eine traurig stimmende Anklage gegenüber unserem lieben Schöpfer! Vielleicht sollten wir diese doch irgendwie schwer zu ergründenden Themenbereiche angehen, indem wir uns fragen, wo denn all dieses Böse überhaupt seinen Ursprung nahm. Ist Gott etwa der Urheber des Bösen? Wenngleich wir auch nicht alle Antworten finden werden, so wollen wir uns doch kurz einige Textstellen aus der Heiligen Schrift genauer anschauen und so etwas mehr Licht in diese beunruhigende Lebenswirklichkeit zu bringen versuchen, in die wir eingebunden sind.

Warum verhindert Gott das Böse nicht?
In der Bibel heißt es: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ (1. Mose 1,31). Ja, Gottes Urschöpfung war gut. Zudem ist das Wesen Gottes von Liebe umfangen. Im 1. Johannesbrief 4,8 lesen wir: „Gott ist die Liebe.“ Er liebt uns, selbst wenn wir nicht liebenswert sind und gegen seine Liebe ankämpfen. In seiner wunderbaren Gnade hat er uns bereits all unsere Sünden vergeben – die bisherigen ebenso wie die gegenwärtigen und zukünftigen. Trotzdem: Warum schreitet unser himmlischer Vater nicht ein und verhindert das Böse, bevor es sich in unserem Leben auf schreckliche, Schmerz und Leid bringende Weise Bahn brechen kann?

Vielleicht geht es Gott um etwas weitaus Größeres, als wir ermessen können. Der Apostel Paulus äußerte sich hinsichtlich der Schöpfung und des Bösen wie folgt: „Deshalb, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben“ (Röm 5,12). Paulus bezieht sich auf den sogenannten Sündenfall, der wiederum weitreichende Auswirkungen auf
» Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut (1. Mose 1,31). «
die ganze Schöpfung hatte: „Denn die Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen worden – nicht freiwillig, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, auf Hoffnung hin, dass auch selbst die Schöpfung von der Knechtschaft der Vergänglichkeit frei gemacht werden wird zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung zusammen seufzt und zusammen in Geburtswehen liegt bis jetzt“ (Röm 8,20-22; Elberfelder Bibel). Nachdem Adam gesündigt hatte, verfluchte Gott den Erdboden (1. Mose 3,17). Das bedeutet, dass die Schöpfung eine völlig andere war, bevor die Sünde in die Welt gekommen war.

Adams die Welt verändernde Entscheidung brachte das Böse ins Leben der Menschen, und dessen mächtiger Einfluss hat die Menschheit seither in seinem Bann gehalten. Die Schöpfung selbst leidet unter den Folgen. Wichtig ist, sich die Begleitumstände, unter denen Adam seine Entscheidung gefällt hatte, vor Augen zu halten. Wie Eva ließ er sich durch die Schlange beeinflussen, die für Satan, ein mächtiges Engelswesen, steht, das zusammen mit einer weiteren Schar von Engeln gegen Gott aufbegehrte und so das Böse ins Weltall brachte. Wir erkennen an dieser Stelle das von Stolz getragene Aufbegehren Satans gegen Gott, mit dem er zum Urheber des Bösen wurde.

Mit Kurs auf ein sicheres Ziel
Gott hat uns mit seinem Wort verheißen, er werde zu der von ihm bestimmten Zeit mit dem Bösen abrechnen, und dann werde der Tod ein für allemal besiegt werden. Bis dahin aber befinden wir uns auf einer irdischen Pilgerreise. Wie ein Schiff im Sturm nimmt die Erde Kurs auf ein sicheres Ziel: Christus wird – gewiss wie das Aufgehen der Sonne – wiederkehren, um alles wiederherzustellen und sein Reich aufzubauen. Zwischenzeitlich aber werden viele an Bord Adam folgen und einen Lebensweg einschlagen, der mit dem von Gott gebotenen unvereinbar ist.

Warum nun gab Gott den Menschen die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse wählen zu können? Schließlich hätte er ja die Liebe fest in unsere Herzen einpflanzen können.

» Adams die Welt verändernde Entscheidung brachte das Böse ins Leben der Menschen, und dessen mächtiger Einfluss hat die Menschheit seither in seinem Bann gehalten. «

Paradoxerweise wäre damit aber der Gedanke freier Willensentscheidung ad absurdum geführt worden, die wahrscheinlich das Wesen unseres Charakters und uns als einzigartige Individuen ausmacht. Die Möglichkeit, frei entscheiden zu können, bildet im Wesentlichen den Kern dessen, was wir unter moralischer Handlungsfreiheit verstehen; denn ohne diese vermögen wir uns nicht im Sinne Gottes zu entwickeln. Der dreieinige Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist – will keine auf Ewigkeit ausgerichtete Beziehung mit vorprogrammierten, Robotern gleichenden Wesen, sondern vielmehr eine mit Menschen aus Fleisch und Blut, die sich aus freien Stücken entscheiden, ihn und ihre Mitmenschen zu lieben, und sich bewusst von einem dem Bösen verhafteten Leben abkehren. Er will, dass wir uns nicht nur auf Geheiß oder aus Pflichtgefühl auf die Gnade Jesu ansprechen lassen, sondern weil dies unserem freien Willen entspricht. Das Böse hat der Menschheit unermessliches Leid gebracht. Auch das Volk Israel musste zwischen Leben und Tod wählen. Ihm wurden die Zehn Gebote gegeben, später ergänzt durch weitere Gesetze, aber die Israeliten ließen sich auf die schiefe Bahn der Sünde mit deren elenden Folgen locken. Ja, wir leben in einer gegenwärtig noch der Sündhaftigkeit fest verhafteten Welt.

Gott gibt uns jedoch mit seinem Wort die Zusicherung, er werde – insbesondere in bestimmten, entscheidenden Augenblicken – in unser Leben eingreifen und uns in den schmerzlichen Zeiten des Leids stets hilfreich zur Seite stehen. Er wird uns nie verlassen oder im Stich lassen. Wie wäre es aber um unsere Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse bestellt, wenn er sich bei jedem Schritt und Tritt, wann immer wir zu sündigem Handeln ansetzen, einmischte?

Genau darin liegt die Erhabenheit der Gnade Jesu Christi, der mit seiner Fleischwerdung die üblen Angriffe seiner Widersacher erduldete und die Tür zur Vergebung, Versöhnung und zu einem neuen Leben in ihm weit aufstieß.

In gewisser Hinsicht nahm Gott, wohl wissend, dass moralische Handlungsfreiheit per se die Möglichkeit der Wahl zwischen Gut und Böse in sich birgt, ein Risiko für die Menschheit auf sich: Er ließ es damit zu, dass dem Bösen infolge von Fehlentscheidungen der Weg in die Welt geebnet wurde. Das Wesentliche an Christi Botschaft ist jedoch jener Wandel, den der Heilige Geist in uns bewirkt und durch den wir in der Lage sind, uns über das Böse zu erheben und – dem göttlichen Beispiel folgend – sogar unsere Feinde aufrichtig zu lieben.

Die Perspektive der Ewigkeit
So wie Gott den Regen auf Gerechte wie Ungerechte fallen lässt, so lässt er uns mit allen Erdbewohnern zuweilen auch Leid ertragen. Daraus lernen wir, dass die Sündhaftigkeit böse Folgen hat und ein Leben ohne Gott sinnlos ist. Und so sind dann, wenn der Sturm auf hoher See tobt und das „Erdenschiff“ seinem Ziel entgegensteuert, Gerechte wie Ungerechte manchen Quallen ausgesetzt. Im Römerbrief 8,18 heißt es, „dass die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll“ (Elberfelder Bibel). Hier hilft uns Gott, das Leid, das wir gegenwärtig vielleicht ertragen mögen, aus einer auf die Ewigkeit gerichteten Perspektive zu betrachten und unserer wunderbaren Bestimmung entgegenzusehen, die uns in seinem Reich erwartet.

Es liegt in unserer Verantwortung, auf die Führung Jesu und des Heiligen Geistes zu bauen, um Gottes Geschenk der Willensfreiheit mit Klugheit, Stärke und Einsicht umzusetzen, besonders wenn wir uns mit schweren Prüfungen und harten Entscheidungen konfrontiert sehen. In seinem Brief an die Galater heißt es bei Paulus: „Ihr aber, liebe Brüder, seid zur Freiheit berufen. Allein seht zu, dass ihr durch die Freiheit nicht dem Fleisch Raum gebt; sondern durch die Liebe diene einer dem andern“ (Gal 5,13).

Bringt Ihre Lebensführung Sie Gott näher, oder führt sie Sie weiter von ihm weg? Wirken sich Ihre Entscheidungen positiv oder negativ auf Ihre Mitmenschen aus? Gehören Fragen wie diese nicht zu jenen, die wir uns wirklich stellen sollten? Ja, Gott hat mit der uns verwandelnden Gegenwart des Heiligen Geistes dafür gesorgt, dass wir mit Einsicht und Klugheit die richtigen Entscheidungen treffen, die uns dem Wesen Christi immer näherbringen.


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