Der Kreuzigung gedenken
Von Dr. Michael Morrison

Vor fast 2000 Jahren wurde ein jüdischer Zimmermann als ein gefährlicher religiöser und politischer Rebell verurteilt. Er wurde auf eine der qualvollsten und schändlichsten je bekannten Methoden hingerichtet – durch Geißelung und Kreuzigung. Diese Form des Todes war ein Skandal für Juden und Heiden.

Dennoch bestanden Jesu Nachfolger darauf, seines Todes zu gedenken – nicht nur der Tatsache, dass er starb, sondern auch, dass er auf eine so schändliche Weise starb. In ihren schriftlichen Berichten über Jesus widmeten sie seinem schrecklichen Tod lange Abschnitte. Sie feierten jedes Jahr einen Tag zum Gedächtnis an seinen Tod.

Warum ist Jesu Tod für Christen so wichtig – und für den christlichen Glauben so zentral?

Von größter Wichtigkeit
In der Zusammenfassung des Evangeliums durch Paulus wird der Tod Jesu als „als Erstes“, d.h. mit erstrangiger Bedeutung aufgelistet. „Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist …“ (1Kor 15,1-3). Paulus beschrieb seine eigene Predigt als „das Wort vom Kreuz“ (1Kor 1,18). „Wir aber predigen den gekreuzigten Christus“ (V. 23).

Jesu Tod wurde in der Heiligen Schrift vorhergesagt und war notwendig (Lk 24,25-26; Apg 3,18; 17,3). Der Messias musste nicht nur sterben,, vielleicht auf eine schmerzlose Weise, sondern leiden, , für unser Heil gekreuzigt werden. Es war ein unerlässlicher Teil von Jesu Dienst und ein wesentlicher Teil des Evangeliums. Jesus hatte sein eigenes Leiden und seinen Tod vorausgesagt, sogar seinen Tod am Kreuz (Mk 8,31-32; 9,31; 10,33-34; Mt 20,19; 26,2; Joh 12,32-33). Er war sicher, dass es auf diese Weise geschehen musste (Mt 26,54) – es war sein Zweck, seine Mission (Joh 12,27). Er musste die Prophezeiung aus Jesaja 53 erfüllen (Lk 22,37).

Jesus kündigte an, dass sein Tod ein Lösegeld sein werde, um andere Menschen zu retten (Mk 10,45). Bei seinem letzten Abendmahl sagte er, dass er seinen Leib für andere hingeben werde, und er gab sein Blut, um einen neuen Bund zu schließen oder eine neue Beziehung zwischen Gott und der Menschheit, die auf Vergebung gründet (Lk 22,19-20; Mt 26,28). Er war, wie Jesaja vorhergesagt hatte, eine unschuldige Person, die litt und starb, um die Schuldigen freizukaufen. Gott legte unsere Sünden auf Jesus, und er wurde für unsere Übertretungen getötet, um unsereFreiheit zu erkaufen.

Jesus hat nicht nur seinen Tod vorhergesagt, sondern erklärte uns auch seine Bedeutung – und das ist der Grund, warum es eine gute Nachricht ist. Er gab seinen Leib für uns – zu unse- rem Wohl. Er ließ zu, dass sein Blut vergossen wurde, damit uns vergeben werden kann. Jesus war der Mittler zwischen Gott und den Menschen. Sein Tod befähigt uns, einen Bund mit Gott zu haben – eine Beziehung, die auf Gottes Verheißung und Treue basiert. In der Tat, der Tod Christi ist der einzige Weg für unser Heil. Das ist der Grund, dass „er sein Angesicht wandte, um stracks nach Jerusalem zu wandern“ (Lk 9,51), obwohl er wusste, dass ihn dort Leid erwartete. Das war der Grund, warum er gekommen war.

Einen Skandal öffentlich machen
Die Auferstehung Jesu war eine wunderbar gute Nachricht. Es war eine Botschaft voller Hoffnung. Es wäre für die Apostel einfach gewesen, die Auferstehung Jesu zu betonen und seinen schändlichen Tod zu übergehen. Tatsächlich lesen wir in der Apostelgeschichte, dass sie seine Auferstehung verkündigten – aber sie haben die Menschen auch mutig an die schmachvolle Bestrafung, die Jesus zuteilwurde, erinnert (Apg 2,22-24; 3,13-15; 4,10; 5,30-31; 7,51-53; 10,37-40; 13,27-30).

Sie haben nicht nur das Kreuz bekannt, sie nannten es auch einen i>Baum [Holz] – ein Wort, das die Juden an die Schriftstelle in 5. Mose 21,22-23 erinnerte, das besagt, dass jemand, der an ein Holz gehängt wird, unter Gottes Fluch ist. Indem sie das Wort „Holz“ benutzten, lenkten die Apostel besondere Aufmerksamkeit auf die schändliche Weise, auf die Jesus gestorben war. Warum betonten sie die schändliche Art und Weise seines Todes? Weil es wichtig war. Die Heilige Schrift hatte es vorausgesagt, und es war für unser Heil nötig.

Das Kreuz umfasst Schande und auch Schmerz (Hebr 12,2). Es umfasst einen „Fluch“ (Gal 3,13-14). Paulus tat sein Bestes, andere Menschen nicht zu beleidigen, aber er betonte die Tatsache, dass Jesus am Kreuz gestorben war, auch wenn er wusste, dass sie anstößig war (Gal 5,11; 3,1; 6,14). Das Kreuz war das Zentrum seines Evangeliums (1Kor 1,23; 2,2; Phil 3,18).

Paulus vermittelt uns die geistliche Bedeutung des Kreuzes: Jesus erlöste uns vom Fluch des Gesetzes, indem er für uns ein Fluch wurde (2Kor 5,21). Er war ein Opfer, damit wir gerechtfertigt oder als gerecht erklärt werden, damit wir nicht die Strafe empfangen, die wir für unsere Sünden verdienen (Röm 3,24-26). Er trug unsere Sünden und ihre Strafe am Kreuz (1Pt 2,24). „Denn auch Christus hat einmal für die Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, damit er euch zu Gott führte“ (1Pt 3,18).

Durch das Kreuz empfangen wir den Segen, der Abraham versprochen wurde (Gal 3,14). Durch das Kreuz werden wir mit Gott versöhnt (Eph 2,16).
Durch das Kreuz empfangen wir den Segen, der Abraham versprochen wurde.
Durch das Kreuz vergibt uns Gott unsere Sünden und entfernt den Schuldbrief, der mit seinen Forderungen gegen uns war (Kol 2,13-14). Unser Heil hängt vom Kreuz Christi ab.

Da wir es nicht schaffen, das Gesetz perfekt zu halten, fallen wir unter seinen Fluch (Gal 2,10). Wir alle verdienen die Todesstrafe (Röm 3,23; 6,23). Jesus, der ohne Sünde war, brauchte nicht zu sterben, aber er starb bereitwillig, um die Strafe für unsere Sünde zu bezahlen. Der Gerechte starb für die Ungerechten. Er empfing die Strafe, die wir verdienen, damit wir Vergebung erhalten konnten, obwohl wir sie nicht verdienen. Er erhielt den Tod, damit wir das Leben erhalten konnten.

John Stott schreibt, dass die Kreuzigung drei Wahrheiten aufzeigt:

„Erstens, unsere Sünde muss äußerst schrecklich sein. Nichts offenbart die Schwere der Sünde mehr als das Kreuz … Wenn es keinen Weg gab, durch den der gerechte Gott uns rechtmäßig unsere Ungerechtigkeit vergeben konnte, außer dass er sie selber in Christus tragen sollte, muss sie in der Tat ernst sein…

Zweitens, Gottes Liebe muss über unser Begriffsvermögen hinaus wunderbar sein … Er ging uns sogar bis zur trostlosen Qual des Kreuzes nach, wo er unsere Sünden, unsere Schuld, unser Gericht und unseren Tod trug. Es braucht ein hartes und steiniges Herz, um von einer solchen Liebe unberührt zu bleiben …

Drittens muss das Heil ein freies Geschenk sein. Er ‚kaufte’ es für uns mit dem hohen Preis seines eigenen Blutes. Was bleibt also noch für uns zu bezahlen? Nichts!“ (The Cross of Christ, S. 83).

Zum Gedenken seines Todes
Das Kreuz stand im Zentrum von Jesu Mission als Mensch. Seine Aufgabe war nicht erfüllt, bis er gekreuzigt war. Jesus hat seinen Jüngern nicht befohlen, seiner Wunder zu gedenken – sie sollten seines Todes gedenken. Jesus hat viele Rituale eliminiert, aber er befahl ein neues: Das Brot und den Wein des Abendmahls. Er trug uns auf, diese Erinnerung an seinen Tod zu bewahren, weil sein Tod und unsere Teilhabe an seinem Tod der Schlüssel zu unserem Heil ist. Wir erinnern Jesu Tod nicht nur als etwas, was Jesus zustieß – er ist für uns heute relevant. Das Abendmahl des Herrn schaut in die Vergangenheit: Jesus, der willig war, sein Leben für uns zu geben – und in die Gegenwart: unsere Einheit mit uns jetzt – und in die Zukunft: seine Verheißung wiederzukommen.

In der Taufe symbolisieren wir unsere Teilhabe an Jesu Tod (Röm 6,3). Geistlich gesehen sind wir mit Christus gekreuzigt (Gal 2,20), und täglich sollen wir unsere sündigen Leidenschaften und Begierden kreuzigen (Gal 5,24; Röm 8,13). Um Jesus zu folgen, müssen wir jeden Tag unser Kreuz auf uns nehmen (Lk 9,23) und willens sein, unsere falschen Begierden zu verleugnen. Das Abendmahl des Herrn erinnert uns, worum es in unserem Leben geht.

Jesu Tod ist ein Muster für unser tägliches Leben – er ist ein Bild für unsere vollständige Unterordnung unter Gott, ein Bild der Bereitwilligkeit, Sünde zurückzuweisen und die Gerechtigkeit zu wählen. Jesus starb für uns, sagt Paulus, so dass wir nicht länger für uns selber leben sollen, sondern stattdessen leben, um Jesus zu dienen (2Kor 5,15). Da unser alter Mensch mit Christus gekreuzt wurde, „sollten wir der Sünde nicht mehr dienen“ (Röm 6,6). Stattdessen bringen wir uns selber Gott als lebendige Opfer dar, bereit, ihm zu dienen (Röm 6,13; 12,1). Weil er für uns starb, „sterben wir der Sünde und leben der Gerechtigkeit“ (1Pt 2,24).

Jesu Tod ist der Beweis, dass Gott uns liebt – er zeigt uns, dass Gott sich so sehr um uns sorgt, dass er etwas tat, um unser Problem zu lösen, um uns vom Tod zu befreien, den unsere Sündhaftigkeit über uns gebracht hat (Röm 5,8-10). Da Gott seinen eigenen Sohn nicht verschonte, können wir zuversichtlich sein, dass er uns alles geben wird, was wir für das Heil benötigen (Röm 8,32). Seine Liebe zu uns wird ein Beispiel, wie sehr wir einander lieben sollten (Eph 5,1-2).

Der Tod Jesu gibt uns einige wichtige Freiheiten:

  • Wir sind nicht länger Gefangene des Gesetzes (Gal 3,23; Röm 7,6).
  • Wir sind nicht mehr länger Sklaven der Sünde und ihrer Leidenschaften (Joh 8,34-36; Röm 6,6-7; Tit 3,3).
  • Wir sind nicht mehr länger von Tod und Furcht versklavt (Röm 8,2; Hebr 2,14-15).
  • Wir haben die Welt und das Böse überwunden (1Joh 5,4-5; 1Joh 2,13-14; Offb 12,11).

Mit dieser Freiheit sollen wir Sklaven der Gerechtigkeit, Sklaven Jesu Christi sein. Er starb für uns, damit wir für ihn leben können (2Kor 5,14-15). Auf diese Weise sollen wir auf die Liebe Gottes reagieren, die uns im Kreuz Christi gezeigt wird.

Das Kreuz ist auch ein Beispiel für uns, wenn wir leiden. Petrus erinnert uns, dass, wenn wir ungerecht leiden, wir uns an das Beispiel Christi erinnern sollten, der für uns Unrecht erlitt und uns so ein Beispiel gab (1Pt 2,19-23). Im Hebräerbrief wird uns auch gesagt, dass wir an Jesus denken sollten, wenn wir unserer Schwierigkeiten überdrüssig werden, denn er erlitt für uns großen Widerstand (Hebr 12,2-4). Ungerechtes Leiden ist Teil der christlichen Berufung und Teil des Beispiels, das Jesus uns gegeben hat. „Der Knecht ist nicht größer als sein Herr“ (Joh 15,20). Das Abendmahl des Herrn erinnert uns daran, worum es im Leben Jesu ging, und wir sind berufen, ihm nachzufolgen.

Wenn wir leiden, werden wir auch durch das Wissen ermutigt, dass uns eine Krone der Herrlichkeit erwartet, genauso wie Jesus eine trägt. Wenn wir uns mit ihm in seinem Kreuz identifizieren, werden wir auch an seiner Herrlichkeit teilhaben (Röm 8,17-18; 2Kor 4,17).

Das Kreuz mag für viele Menschen eine Torheit sein, aber es zeigt uns die Weisheit Gottes (1Kor 1,17-25). Es war ein Geniestreich, ein brillantes Manöver. Es zeigt uns gleichzeitig, wie hässlich Sünde und wie schön Gottes Liebe ist. Das Kreuz straft Sünde und bietet Vergebung an. Es zeigt sowohl Gerechtigkeit als auch Gnade. Es bricht die Macht der Sünde und des Todes und gibt uns Kraft zum Überwinden. Das Kreuz gibt uns den sichtbaren Beweis, dass unsere Sünden ein für alle Mal getilgt wurden, dass unsere Kämpfe nicht umsonst sind und dass uns durch unseren Herrn und Erlöser Jesus Christus eine Krone der Herrlichkeit erwartet. Es ist gewiss wert, sich daran zu erinnern.


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