Die Karwoche (Heilige Woche)

Von Ted Johnston

Die Karwoche [1] (ahd. kara für Klage, Kummer, Trauer; auch: Heilige Woche) ist im christlichen Kirchenjahr die letzte Woche der Ostervorbereitungszeit bzw. Fasten- oder Passionszeit (wobei die letzten drei Tage oft als das „heilige Triduum“ bezeichnet werden) und damit die Woche vor Ostern.

Beginnen wir mit einem Zitat aus dem Buch Living the Christian Year von Bobby Gross. Es wird einige wichtige historische Zusammenhänge aufzeigen.

Ursprünglich erinnerten und feierten die ersten Christen den Tod und die Auferstehung Jesu an einem einzigen Tag – und zwar einmal in der Woche, am Sonntag! Aber es dauerte nicht lange, wahrscheinlich bis zum Ende des ersten Jahrhunderts, bis ein aufwendigeres jährliches Pascha (Osterfest) eingeführt wurde. In diesem Sinne hat Laurence Stookey (am. Theologe, 1937-2016) als Antwort auf die Maxime, dass jeder Sonntag ein kleines Ostern ist, vorgeschlagen: „Jedes Ostern ist ein großer Sonntag." (S. 167)

Im Laufe der Zeit fügte die Kirche der Osterfeier vier Gedenkfeiern zu Schlüsselereignissen im Leben Jesu hinzu, die in der Woche vor Ostern stattfanden. Die sogenannte „Karwoche“ beginnt mit dem Palmsonntag und umfasst Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag.

Schauen wir uns jedes dieser Ereignisse an:

Palm-/Passions-Sonntag
Der Sonntag, mit dem die Karwoche beginnt, ist unter verschiedenen Namen bekannt (v. a. als Palmsonntag), aber es ist wohl am besten, ihn Palm-/Passions-Sonntag zu nennen, denn an diesem Tag ritt Jesus in Jerusalem ein, wohlwissend, dass er dort leiden und sterben würde. Ja, er kam unter dem Beifall einer begeisterten Menge an, aber beachten Sie dies von Laurence Stookey:

Die Verfasser des Neuen Testaments wissen sehr wohl, dass sich die „Hosanna!“-Rufe des Sonntags am Freitag in Aufrufe zur Kreuzigung verwandeln werden. Der Einzug in die Stadt ist mit Ironie aufgeladen... [Denn] Jesus betritt die Stadt nur aus einem einzigen Grund: um zu sterben. Die Schreiber der Evangelien sind sich darüber im Klaren, und „Palmsonntags“-Veranstaltungen, die ein „dreifaches Hoch auf Jesus“ sind, büßen ihre biblische Integrität ein. (Calendar: Christ’s Time for the Church, S. 88-89)

Die vom Revised Common Lectionary (RCL) [2] für den Palm-/Passions-Sonntag festgelegten Schriftlesungen (Lektionen) tragen dazu bei, dass der Gottesdienst an diesem Tag seine volle biblische Bedeutung entfaltet. Die Bezeichnung Passionssonntag ist hilfreich und besonders für Gemeinden geeignet, die sich an anderen Tagen der Karwoche nicht zum Gottesdienst treffen. Am Palm-/Passions-Sonntag werden sie sich an alle Schritte Jesu und an alles, was er in der kommenden Woche erlitten hat, erinnern. Wenn sie dann am Ostersonntagmorgen wieder zusammenkommen, werden sie die Auferstehung Jesu feiern, nachdem sie sich bereits am Palm-/Passions-Sonntag an die Passion (das Leiden) Jesu in der Woche vor Ostern erinnert haben.

Gründonnerstag
Am Gründonnerstag gehen wir mit Jesus in die Finsternis seiner letzten Nacht, eine Finsternis, die von bösen Mächten erschüttert wird – der Verrat, die Verhaftung, die Geißelung und schließlich sein Tod am Kreuz. Dies ist eine schwierige Nacht, eine dunkle Nacht der Seele, in der die Entschlossenheit Jesu, ans Kreuz zu gehen, in lebhaftem Kontrast zu den Mächten des Bösen steht, gegen die er kämpfen muss. Wir gehen diesen Weg mit ihm. (Robert Webber, Ancient Future Time: Forming Spirituality Through the Christian Year, S. 126).

Der Donnerstag in der Karwoche wird Gründonnerstag (engl. Maundy Thursday) genannt, wobei „maundy“ vom lateinischen Wort für „Gebot“ abgeleitet ist. An diesem Donnerstagabend gab Jesus seinen Anhängern das, was er „ein neues Gebot“ nannte: „Liebt einander! So wie ich euch geliebt habe, so sollt ihr euch auch untereinander lieben“ (Joh 13,34 Hfa). Im Abendmahlssaal in Jerusalem hat Jesus seine selbstaufopfernde, bedingungslose Art zu lieben auf schockierende und unerwartete Weise vorgelebt – er nahm die bescheidene Stellung eines Hausdieners an und wusch seinen Jüngern die Füße. Aus diesem Grund schließen einige Kirchen die Fußwaschung [3] in ihren Gründonnerstagabendgottesdienst ein.

Ein Schwerpunkt dieses Gottesdienstes ist das Gedenken an das sogenannte Letzte Abendmahl. Während dieses Abendmahls setzte Jesus das Sakrament des Abendmahls (auch Eucharistie genannt) ein. Mit Worten des Trostes, der Zuversicht und der Verheißung segnete Jesus das Brot und den Wein, mit denen er sich seinen Jüngern jedes Mal, wenn sie an diesem heiligen Mahl teilnehmen, präsentiert und mit ihnen Gemeinschaft hat, und teilte beides dann mit ihnen. Über die Eucharistie, wie sie am Gründonnerstag gefeiert wird, schrieb Stookey Folgendes:

Bei dieser Gelegenheit danken wir für das Geschenk der Eucharistie selbst. Wir preisen Gott dafür, dass er das, was nur ein trauriger Abschied von Lehrer und Jüngern hätte sein können, dazu verwendet hat, die Gegenwart des Auferstandenen zu offenbaren. Wir preisen Gott dafür, dass er einen Anlass für tiefe Trauer in einen Anlass für tiefe Dankbarkeit verwandelt hat. (Calendar, S. 95)

Am späten Donnerstagabend verließen Jesus und seine Jünger (ohne Judas Iskariot) den Abendmahlssaal in Jerusalem, durchquerten das Kidrontal und stiegen auf den Ölberg, wo Jesus im Garten Gethsemane betete. Dort wurde Jesus verhaftet und abgeführt. Der Gründonnerstag endet also mit einer feierlichen Note, und die Gottesdienste an diesem Abend enden in der Regel mit dem Verlassen des Gottesdienstes in Stille.

Karfreitag
Der Freitag in der Karwoche ist der feierlichste Tag im Kirchenjahr. Es ist der Tag, an dem Jesus gefoltert und gekreuzigt wurde und am späten Nachmittag am Kreuz starb. Warum nennt man ihn dann „Karfreitag“ (engl. Good Friday [Guter Freitag])? Stookey antwortet:

Der Karfreitag [verkündet] die göttliche Bestimmung.... Tatsächlich könnte der Begriff „Karfreitag“ (Good Friday) eine Verballhornung des englischen Ausdrucks „God's Friday“ (Gottes Freitag) sein .... Dieser Tag ist gerade deshalb gut, weil Gott auf Golgatha die Kontrolle hatte. Die Kreuzigung Jesu war kein schlechter Handel, bei dem Gott versuchen musste, das Beste herauszuholen; es war die Verwirklichung der göttlichen Absicht im Hinblick auf die Rettung einer ansonsten zum Untergang verurteilten Schöpfung.

Der Karfreitag (Good Friday [Guter Freitag]) war nicht „gut“ (im Sinne von „angenehm“) für Jesus – er hat unvorstellbar gelitten. Aber für uns ist er sehr gut, denn durch das, was Jesus erduldet hat, wurde unsere Erlösung gesichert – die Erlösung, die durch seine Auferstehung und Himmelfahrt vollendet wurde.

Die Gottesdienste am Karfreitag sind daher feierlich und ruhig. Es ist angemessen, dass die in diesem Gottesdienst gelesenen Bibelstellen (wie in der RCL für die Jahre A, B und C festgelegt) aus dem Evangelium des Johannes stammen. Stookey weist darauf hin, dass Johannes später geschrieben hat als die anderen Evangelienschreiber und dass Johannes den Vorteil hatte, dass die Kirche die Bedeutung des Kreuzes immer besser verstand. So findet Johannes eine noch tiefere Bedeutung, die die Einsichten der früheren [Evangelien-]Schreiber ergänzt, ohne ihnen zu widersprechen. Die besondere Behauptung des Johannes ist Folgende: Der beabsichtigte Leidensweg Gottes ist keine kurzfristige Angelegenheit (bei der Gott erst in dem Moment reagierte, als Jesus zum Tode verurteilt wurde), sondern nichts weniger als das langfristige Werk der Gnade. Mit anderen Worten: Gott hat am Kreuz die Kontrolle, nicht als einer, der auf die Ereignisse reagiert, sondern als derjenige, der ihren Lauf lenkt. (S. 98).

Karsamstag
Mit dem Karsamstag gehen sowohl die Karwoche als auch die Fastenzeit zu Ende. Am Samstag der Karwoche lag Jesus tot in einem Grab in der Nähe des Ortes, an dem er gekreuzigt wurde. In den meisten Kirchen finden am Karsamstag keine Gottesdienste statt, aber die, die es tun, feiern einen sehr einfachen Gottesdienst mit Lesungen und Gebeten. Obwohl dieser Gottesdienst ruhig und feierlich ist, wird er in dem sicheren Wissen abgehalten, dass der Ostersonntag vor der Tür steht. Obwohl Jesus tot und begraben ist, wird er bald zu neuem, auferstandenem Leben auferstehen!

Anstelle eines Gottesdienstes am Karsamstag halten einige Kirchen am späten Samstagabend einen Gottesdienst ab, der als Osternacht bezeichnet wird. Sie beginnt in völliger Dunkelheit (als Symbol für den toten und begrabenen Jesus) und endet mit dem Einbruch des Lichts des auferstandenen Jesus. Auf diese Weise ist die Vigil (Nachtwache) eine Vorschau auf den Gottesdienst am Ostersonntag, den wir uns in einem Folgeartikel [4] ansehen werden.

Erläuterungen:
[1] Die Bezeichnung Karwoche ist ein traditioneller Begriff aus dem deutschsprachigen Raum. In anderen Sprachen spricht man demgegenüber von der Heiligen Woche (lateinisch Hebdomada sancta). Die deutsche Bezeichnung ist eine sprachliche Besonderheit in Hinsicht der europäisch geprägten Weltsprachen.
[2] Die Predigten in den Gottesdiensten unserer amerikanischen Hauptkirche (GCI) richten sich nach dem Revised Common Lectionary; in Deutschland vergleichbar mit der Perikopenordnung, eine Zusammenstellung von Bibelabschnitten, den Perikopen, die zur gottesdienstlichen Lesung bzw. Auslegung in der Predigt im Laufe des Kirchenjahres vorgesehen sind.
[3] Bei der Fußwaschung handelt es sich um einen bildlichen Ausdruck für den Dienst am Nächsten. GCI/WKG verlangt von ihren Mitgliedern nicht, dass diese Redewendung buchstäblich umzusetzen ist.
[4] Artikel „Die österliche Freudenzeit“ (siehe unter Menü Artikel/Titelverzeichnis).


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