Advent: Jesus gestern, heute und in Ewigkeit
Von Dr. Joseph Tkach

Manchmal gehen wir mit so viel Enthusiasmus ans weihnächtliche Zelebrieren der Menschwerdung von Gottes Sohn, dass wir darüber den Advent in den Hintergrund treten lassen, jene Zeit also, mit der das christliche Kirchenjahr beginnt. Die vier Sonntage umfassende Adventszeit läutet Weihnachten ein, das Fest der Geburt Jesu Christi. Der Begriff „Advent“ leitet sich vom lateinischen adventus ab und bedeutet so viel wie „Kommen“ oder „Ankunft“. Im Advent wird das dreimalige „Kommen“ Jesu gefeiert (typischerweise in umgekehrter Reihenfolge): das zukünftige (Jesu Wiederkehr), das gegenwärtige (im Heiligen Geist) und das vergangene (Jesu Menschwerdung/Geburt).

Noch besser verstehen wir die Bedeutung des Advents, wenn wir uns vor Augen halten, wie dieses dreimalige Kommen miteinander in Beziehung steht. Der Verfasser des Hebräerbriefes drückte es so aus: „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“ (Hebr 13,8). Jesus kam als Fleisch gewordener Mensch (gestern), er lebt durch den Heiligen Geist gegenwärtig in uns (heute) und wird als König aller Könige und Herr, aller Herren wiederkehren (in Ewigkeit). Eine weitere Sichtweise, aus der man dies betrachten kann, ist im Hinblick auf das Reich Gottes zu finden. Die Menschwerdung Jesu brachte den Menschen das Reich Gottes (gestern); er selbst lädt die Gläubigen ein, in jenes Reich Einzug zu halten und daran teilzuhaben (heute); und wenn er wiederkehrt, wird er der ganzen Menschheit das bereits bestehende Reich Gottes offenbaren (in Ewigkeit).

Jesus bediente sich mehrerer Gleichnisse, um das Reich, das er im Begriff war zu errichten, zu erläutern: das Gleichnis vom Samen, der unsichtbar und im Stillen vor sich hinwächst (Mk 4,26-29), das vom Senfkorn, das aus einem kleinen Samenkörnchen hervorgeht und zu einem großen Strauch heranwächst (Mk 4,30-32), sowie jenes vom Sauerteig, der den ganzen Teig durchsäuert (Mt 13,33). Diese Gleichnisse zeigen, das Reich Gottes wurde mit der Menschwerdung Jesu auf die Erde gebracht und dauert noch heute wirklich und wahrhaftig an.

Jesus sagte auch: „Wenn ich aber die bösen Geister durch den Geist Gottes austreibe [was er tat], so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen“ (Mt 12,28; Lk 11,20). Das Reich Gottes ist gegenwärtig, sagte er, und der Beweis dafür ist in seiner Dämonenaustreibung und anderen guten Werken der Kirche dokumentiert.

Die Macht Gottes wird fortwährend kraft der Gläubigen offenbar, die in der Realität von Gottes Reich leben. Jesus Christus ist das Haupt der Kirche, er war es gestern, ist es heute und wird es in Ewigkeit sein. So wie das Reich Gottes im geistlichen Wirken Jesu gegenwärtig war, ist es jetzt im geistlichen Wirken seiner Kirche gegenwärtig (wenngleich auch noch nicht in Vollkommenheit). Jesus, der König weilt unter uns; seine geistliche Kraft wohnt in uns, auch wenn sein Reich noch nicht in aller Machtvollkommenheit seine Wirkung entfaltet. Martin Luther zog den Vergleich, Jesu habe Satan gebunden, wenngleich an langer Kette: „[...] er [Satan]kann nicht mehr als ein böser Hund an einer Ketten; der mag bellen, hin und herlaufen, an der Kette sich reißen.“

Das Reich Gottes wird in seiner ganzen Vollkommenheit Wirklichkeit werden – das ist das „Ewige“, auf das wir hoffen. Wir wissen, dass wir im Hier und Jetzt nicht die ganze Welt verändern können, so sehr wir auch versuchen, mit unserem Lebenswandel Jesus zu widerspiegeln. Das vermag nur Jesus allein, und er wird dies bei seiner Wiederkehr in aller Herrlichkeit tun. Ist das Reich Gottes auch schon gegenwärtig Realität, wird es erst künftig in seiner ganzen Vollkommenheit Wirklichkeit werden. Ist es heute auch noch weitgehend verborgen, wird es bei Jesu Wiederkehr vollständig offenbar werden.

Paulus sprach häufig vom Reich Gottes in seinem zukünftigen Sinne. Er warnte vor allem, was uns davon abhalten könnte, „das Reich Gottes [zu] ererben“ (1. Kor 6,9-10 und 15,50; Gal 5,21; Eph 5,5). Wie sich an seiner Wortwahl oft ablesen lässt, glaubte er beständig, das Reich Gottes werde am Ende der Weltzeit verwirklicht werden (1. Thess 2,12; 2. Thess 1,5; Kol 4,11; 2. Tim 4,2 und 18). Er wusste aber auch, dass, wo auch immer Jesus sein mochte, sein Reich schon jetzt, auch in „dieser gegenwärtigen, bösen Welt“, wie er sie nannte, gegenwärtig ist. Da Jesus im Hier und Jetzt in uns wohnt, ist das Reich Gottes auch jetzt schon gegenwärtig, und wir haben gemäß Paulus schon jetzt das Bürgerrecht im Himmelreich (Phil 3,20).

Vom Advent wird auch im Hinblick auf unsere Erlösung gesprochen, auf die im Neuen Testament in drei Zeitformen Bezug genommen wird: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Für die Vergangenheit steht unsere bereits erfolgte Errettung. Sie wurde von Jesus bei seinem ersten Kommen herbeigeführt -- durch sein Leben, seinen Tod, seine Auferstehung und Himmelfahrt. Die Gegenwart erleben wir jetzt, da Jesus in uns wohnt und uns auffordert, an seinem Wirken am Reich Gottes (Himmelreich) teilzuhaben. Die Zukunft steht für die vollkommene Erfüllung der Erlösung, die uns zuteilwerden wird, wenn Jesus für alle sichtbar wiederkehren und Gott alles in allem sein wird.

Es ist interessant, festzustellen, dass die Bibel das sichtbare Erscheinen Jesu bei seinem ersten und seinem alles beschließenden Kommen hervorhebt. Zwischen dem „Gestern“ und dem „Ewigen“, ist Jesu gegenwärtiges Kommen insofern unsichtbar, als wir ihn, nicht wie die im ersten Jahrhundert Lebenden, umherwandeln sehen. Da wir aber jetzt Botschafter an Christi statt sind (2Kor 5,20), sind wir dazu aufgerufen, für die Wirklichkeit Christi und seines Reiches zu stehen. Mag auch Jesus nicht sichtbar sein, wissen wir doch, dass er mit uns ist und uns nie verlassen oder im Stich lassen wird. Unsere Mitmenschen können ihn in uns erkennen. Wir sind aufgefordert, die Herrlichkeit des Reiches bruchstückhaft aufscheinen zu lassen, indem wir der Frucht des Heiligen Geistes Raum geben, uns zu durchdringen und indem wir Jesu neues Gebot halten, uns untereinander zu lieben (Joh 13,34-35).

Wenn wir begreifen, dass der Advent in den Mittelpunkt rückt, dass Jesus gestern, heute und in Ewigkeit ist, sind wir besser imstande, das traditionelle Motiv in der Gestalt von vier Kerzen zu verstehen, das der Zeit der Ankunft des Herrn vorangeht: Hoffnung, Frieden, Freude und Liebe. Als Messias, von dem die Propheten sprachen, ist Jesus die reale Verkörperung der Hoffnung, die dem Volk Gottes Kraft gab. Er kam nicht als Krieger oder unterwerfender König, sondern als Friedensfürst, um aufzuzeigen, dass es Gottes Plan ist, Frieden zu bringen. Das Motiv der Freude weist auf die freudige Erwartung der Geburt und Wiederkunft unseres Erlösers hin. Die Liebe ist es, um die sich bei Gott alles dreht. Er, der Liebe ist, liebte uns im Gestern (vor der Gründung der Welt) und tut dies weiterhin, (individuell und auf vertraute Weise) sowohl heute, als auch in Ewigkeit.

Ich bete darum, dass die Adventszeit für Sie von Jesu Hoffnung, Friede und Freude erfüllt sein wird und Ihnen kraft des Heiligen Geistes täglich in Erinnerung gerufen wird, wie sehr er Sie liebt.


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