Sagen Daniel 2 und 7 Ereignisse unserer Zeit voraus, wie den Aufstieg der Europäischen Union? Wie könnten die Vereinigten Staaten und Russland in dieses Bild hineinpassen? Beginnen wir mit einer kurzen Zusammenfassung von Daniel 2 und 7.
Daniel 2 beschreibt einen Traum Nebukadnezars, dem König des babylonischen Reiches, den der Prophet Daniel deutete. Nebukadnezar hatte in seinem Traum eine riesige Statue gesehen. Der Kopf der Statue war aus Gold, die Brust und die Arme waren aus Silber, der Bauch und die Lenden aus Kupfer, die Beine aus Eisen und die Füße teils aus Eisen und teils aus Ton (2,31-33). Ein „Stein, der herabkam“, traf die Statue an den Füssen, so dass sie in sich zusammenbrach und völlig zermalmt wurde. Der Wind verwehte den Staub und der Stein, der die Statue getroffen hatte, „wurde zu einem großen Berg und füllte die ganze Erde“ (2,34-35).
In Daniel 7 ist es Daniel, der einen Traum hat. Er sieht vier Tiere aus dem Meer kommen, die ähnlich aussahen wie die folgenden (jedoch einige seltsame Merkmale aufwiesen): ein Löwe, ein Bär und ein Panther. Das vierte Tier war furchterregend und sah nicht wie ein natürliches Tier aus. Dieses Tier hatte zehn Hörner und große eiserne Zähne (7,4-7). Dann sah Daniel eine Vision des Menschensohnes, dem „Autorität, Herrlichkeit und das Reich“ gegeben wurde und „die Menschen aller Völker, Nationen und Sprachen dienten ihm“ (7,13-14). Seine Herrschaft ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich wird niemals zerstört.
In allen Fällen wurde die Vision klar ausgelegt. Daniel erklärte Nebukadnezar, dass die Teile der Statue – Kopf, Brust und Arme, Bauch und Lenden, Beine und Füße – vier aufeinander folgende Königreiche darstellen (2,36-43). Wenn das letzte der vier Königreiche die Erde regiert, „wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, das niemals zerstört wird“ (2,44). Dieses Reich wird „alle vier Königreiche zermalmen und zerstören; aber es selbst wird ewig bleiben“ (2,44). Das Reich Gottes wird aufgerichtet, vom „Stein, der ohne Zutun von Menschenhänden vom Berg herunterkam“ (2,45). Nebukadnezar wird gesagt, dass dies „dereinst [in der Zukunft] geschehen wird“ (2,45).
In Kapitel 7, sagte Daniel: „Ich, Daniel, war entsetzt, und dies Gesicht erschreckte mich. Und ich ging zu einem von denen, die dastanden, und bat ihn, dass er mir über das alles Genaueres berichtete“ (7,15-16). Die Erklärungen, die Daniel zu seinem Traum gegeben wurden, entsprechen der Deutung des Traumes Nebukadnezars in Kapitel 2. Die vier Tiere sind vier Königreiche. Das vierte Tier unterscheidet sich von den anderen drei und ist sehr furchterregend (7,19). In dieser Vision stehen zehn Hörner (die zehn Könige darstellen) zur „Endzeit“ auf, wenn „das Reich und die Macht und die Gewalt über die Königreiche unter dem ganzen Himmel dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben werden“ (7,27). Dieses Reich wird ewig bestehen. (Daniel 2 und 7 fügen noch weitere Details hinzu, wie z.B. die Erwähnung „eines anderen Königs“. Die bisherigen Erläuterungen geben einen allgemeinen Überblick über diese Kapitel).
Fast alle Gelehrten sind sich einig, dass Daniel 2 und 7 vier Reiche beschreiben, die nach-einander herrschten. Das sind die Reiche der Babylonier, der Meder und Perser, der Griechen und Mazedonier und dann der Römer. Diese vier weltlichen Reiche des gottlosen Widerstands werden von einem fünften „Reich“ gestürzt, das auf Erden errichtet wird, um Gottes Gerechtigkeit, Frieden und Barmherzigkeit durchzusetzen. Das fünfte Reich wird durch den „Stein, der ohne Zutun von Menschenhänden vom Berg herunterkam“ (2,45) oder, wie in Daniel 7 geschildert, durch den Menschensohn errichtet. Dieser Messias, dieser Fels, wird alle irdischen Reiche zerstören und mit den Heiligen das letzte Reich der Gerechtigkeit regieren.
Der überwiegende Inhalt von Daniel 2 und 7 sind historische Schilderungen. In Bezug auf die großen „Weltreiche“ rund um das Mittelmeer, die sich über den fruchtbaren Halb-mond bis zum heutigen Iran erstrecken, halten Daniel 2 und 7 fest, was wir aus der Ge-schichte wissen. Aus säkularpolitischer Sicht ist das „fünfte Reich“ des Messias in keiner offensichtlich weltbewegenden Weise errichtet worden. Nach dem Neuen Testament wird dieses Ereignis vermutlich zur Zeit der Wiederkunft Jesu in Herrlichkeit stattfinden (1. Kor 15,23-27, Offb 11,15-18; 19,6-16).
Christen spekulieren zumindest seit dem frühen zweiten Jahrhundert über das Wann und Wie der „Endzeit“, über die Zerstörung der Reiche dieser Welt und die Wiederkunft Jesu in Herrlichkeit. Stets lag man daneben, denn: Wer sich mit spekulativen Prophezeiungen beschäftigt hat, rechnete fast immer damit, „das Ende“ würde auf sichtbare Weise in seiner eigenen Zeit kommen. Sie schauten auf die Ereignisse ihrer Zeit und versuchten, sie dem zuzuordnen, was in Daniel 2 und 7 und dem Buch der Offenbarung beschrieben wird. „Das Ende“ ist noch nicht gekommen und der Messias (Jesus) ist nicht auf eine welterschütternde Weise gekommen. Dies zeigt, dass alle diese spekulativen Annahmen sich als falsch erwiesen haben, weil sie auf einer falschen Prämisse basieren. Der Fels ist gekommen, das Römische Reich ist zerstört und der Wind bläst allmählich die Überreste weg. Das Reich Christi wächst, aber es sieht nicht aus wie die bösen Reiche dieser Welt.
Rückblickend sehen wir, dass es wenig oder gar nichts nützt, darüber zu spekulieren, wie oder wann „das Ende des Reiches dieser Welt“ kommen mag. (Spekulationen hierüber können, wenn sie dogmatisch formuliert sind, im Leben von Menschen großen Schaden anrichten.) Die Frage, wie diese oder jene Nation oder Staatengemeinschaft in die biblische Prophezeiung „passt“, ist eine Frage, die nicht mit irgendeiner Garantie beantwortet werden kann – oder vielleicht besser nicht gestellt werden sollte. Sie ist sozusagen eine ungebührliche Frage. Sie bittet um etwas, das Gott uns nicht gegeben hat. Er hat uns gesagt, dass „diese Welt“ gestürzt wird, aber er hat uns nicht den genauen Zeitpunkt genannt, wie und wann das geschehen wird.
Aufgrund dieser Erkenntnisse betrachten wir die biblischen Prophezeiungen in einem größeren Rahmen. So vermeiden wir das Festlegen von Datumsangaben und versuchen nicht, eine „Blaupause“ der Prophezeiungen aufzustellen, um das aktuelle Weltgeschehen apokalyptisch erklären zu wollen. Vielmehr setzen wir auf die Tatsache, dass Jesus in der Zukunft in Herrlichkeit wiederkommen wird und überlassen das „Wie“ und „Wann“ der Autorität, Weisheit und Bestimmung Gottes (Mt 24,36; Apg 1,6-8). ❏