Wachstum durch Leiden?
In seinem zweiten Brief an Timotheus, der zu den treuesten Mitarbeitern des „Apostels der Heiden“ zählte, schrieb Paulus Folgendes: „Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt“ (2. Tim 3,16-17).
Von jedem Buch, jedem Brief, jedem Gleichnis und von jedem Menschen, dessen Lebensgeschichte in der Heiligen Schrift niedergeschrieben ist, können wir etwas lernen. Mit „Lernen“ meine ich nicht die Ansammlung von „akademischem“ Wissen, sondern ein Lernen für die Ewigkeit!
Und ein nicht unbedeutender Teil der Bibel besteht aus Erzählungen und Berichten von Menschen, die im Grunde ihres Herzens danach trachteten, Gott zu dienen und ihm ihr Leben zu weihen. Einer dieser Menschen, von denen die Bibel sehr ausführlich berichtet, ist König David von Israel.
Davids Leben war einerseits geprägt von einer tiefen Beziehung zu Gott, großartigen staatsmännischen Erfolgen, Heldentaten und einem ausgeprägten Sinn für Ästhetik und andererseits von schmerzlichen Niederlagen und einem Ringen gegen das eigene Ich. David war ein Mann der großen Erfolge, aber auch ein Mann, der Probleme durchlebt und Niederlagen durchlitten hat.
Zwar unterscheidet sich unser Leben in vielem von dem Leben, das König David geführt hat, doch Freude und Erfolg auf der einen und Schmerzen und Probleme auf der anderen Seite sind auch für uns eine lebendige Realität, der wir uns stellen müssen.
Auch für uns kann das Leben gelegentlich eine recht schwierige Herausforderung sein. Ob jung oder alt, ob reich oder arm – jeder von uns hat irgendwann seine eigenen Feuerproben hinter sich gebracht. Wahrscheinlich machen einige von Ihnen gerade jetzt eine harte oder schwierige Prüfung durch. Möglicherweise leiden Sie an einem persönlichen Verlust, der vor kurzem geschehen ist – vielleicht ist gerade ein Verwandter oder eine enge Freundin verstorben. Oder ein noch frisches Scheidungstrauma belastet Sie. Vielleicht sind Sie schwerkrank, und in Ihren Schmerzen sehen sie nicht immer den Silberstreif am Horizont. Oder Ihr Partner macht Ihnen das Leben schwer. Wie auch immer Ihre persönliche Lage sein mag: Wir müssen begreifen und akzeptieren, dass Prüfungen ein schmerzhafter, unvermeidlicher und sogar NOTWENDIGER Teil des christlichen Lebens und Erlebens sind.
Wenn wir dieses Thema aus rein biblischer Sicht betrachten, ist es uns nicht schwer, irgendwann auf die Lebensgeschichten von König David, Hiob und anderen „biblischen“ Persönlichkeiten zu kommen. Diese beiden Männer haben wahrscheinlich extrem schwere Zeiten durchgemacht. Doch wir haben auch das ermutigende Ende ihrer Geschichten – und dieses Ende sollte eine kraftvolle Quelle des Trostes für uns sein. Doch sehen wir uns das Thema aus noch nächster Nähe an: ganz persönlich. Was können wir aus Prüfungen lernen?
Wenn Sie mir auch nur ein wenig ähnlich sind, dann neigen Sie wie die meisten Christen dazu, bestimmte Fragen zu stellen, wenn in unserem Leben etwas schiefläuft. Wir beginnen uns zum Beispiel zu fragen, ob wir Gott irgendwie ungehorsam waren und ob unsere Anfechtungen die gerechte Strafe dafür sind. Wir beginnen unsere Spiritualität zu bezweifeln und bekommen vielleicht „ungute Gefühle“. Klingt das etwa vertraut? Nun, Tatsache ist, wenn wir ehrlich sind, dass manchmal sehr wohl unsere persönlichen Sünden die Wurzel des Übels sind. Vielleicht haben wir schlecht über jemanden geredet, es wurde ihm hintertragen, und nun müssen wir nicht nur mit der Peinlichkeit fertigwerden, sondern auch mit einer belasteten Beziehung. Ich bin sicher, wir alle können Erfahrungen aus unserem Leben anführen, wo wir uns als Person durch einen schlechten Gedanken oder falsche Handlungen schuldig gemacht haben.
Als Christen sollten wir unseren geistlichen Zustand dauernd bewerten. Doch besonders in schweren Prüfungen kann der Prozess einer offenen und aufrichtigen Gewissenserforschung ein sehr nützliches Hilfsmittel sein, um festzustellen, ob wir an einer bestimmten Situation selbst schuld sind. Wenn das so ist, müssen wir willens sein, das Problem in einer Haltung der Reue zu bereinigen. An diesem Punkt ist Gott bereit, uns zu vergeben! König David sehnte sich innig danach, von seiner Sünde reingewaschen zu werden: Wer kann merken, wie oft er fehlet? Verzeihe mir die verborgenen Sünden!“ (Psalm 19,13). Ja, David wusste um die enorme Zerstörungskraft der Sünde. Doch wir müssen wie David begreifen, dass eine Gewissenserforschung uns nicht immer klarmacht, ob wir in einer bestimmten Situation gesündigt haben oder nicht. Wenn wir es mit einem solchen Fall zu tun haben, sollten wir uns um die Art Demut und echte Bußfertigkeit bemühen, die David in Psalm 19 beweist. Bitten wir Gott auch, uns Sünden zu vergeben, die uns in einer bestimmten Situation eventuell nicht bewusst sind? Selbst wenn wir an unserem Handeln nichts Schlechtes sehen, sind wir trotzdem bereit, in Betracht zu ziehen, dass wir selbst schuld sein könnten?
Im Alltag sind wir Situationen ausgesetzt, wo die Einhaltung gottgefälliger Prinzipien gefährdet ist, weil wir eine falsche Entscheidung treffen. Diese Situationen stellen uns manchmal vor eine bewusste Wahl. Unsere Treue zu Gott wird geprüft. Als Menschen ist uns ein freier Wille gegeben – Gott zwingt uns nicht automatisch, immer und sofort wie Christen zu reagieren. Wir können uns entscheiden zwischen geistlicher Entwicklung, die eine christliche Tugend ist, und spirituellem Rückschritt: Es liegt an uns. Schauen wir uns noch einmal die Haltung und das Beispiel Davids an, eines Mannes, der bei aller Unvollkommenheit sein Bestes tat, um Gott nachzufolgen: „Wie habe ich dein Gesetz so lieb! Täglich sinne ich ihm nach“ (Psalm 119,97). Haben wir die gleiche Haltung?
Es gibt ein altes indianisches Sprichwort: Man sollte nicht über jemanden urteilen, ehe man in
seinen Mokassins gelaufen ist. Es ist ein einfaches, aber sehr wahres Sprichwort. Nur durch Prüfungen können wir beginnen, Menschen zu verstehen, die ähnliche Probleme durchmachen, und mit ihnen zu fühlen. Ich habe keinen Zweifel, dass einige von Ihnen, die die Schrecken des Zweiten Weltkrieges durchleiden mussten, mehr Mitgefühl mit den Opfern der unmenschlichen Massaker haben, die an so vielen Ecken der Welt geschehen. Diejenigen unter Ihnen, die Armut aus eigener Erfahrung kennen, wissen ganz genau, wie es ist, jeden Pfennig zusammenkratzen zu müssen, um eine anständige Mahlzeit für die Familie auf den Tisch zu bringen. Diejenigen, die aus nächster Nähe Tod und Krankheit erlebt haben, sind viel eher imstande, die Realität einer solchen Situation zu begreifen. Wenn Sie aus zerbrochenen Familien kommen, wissen Sie im tiefsten Inneren, wie es ist, ohne Vater oder Mutter zu sein. All diese Situationen sind mit Gefühlen verbunden, die sich nicht schwarz auf weiß ausdrücken lassen. Ich weiß es, denn ich habe es auch erlebt. Und Sie auch. Doch so schmerzlich diese Erfahrungen sein mögen, sie können uns dabei helfen, mit den Problemen anderer Menschen umzugehen. Durch unsere eigenen, persönlichen Prüfungen können wir lernen, andere besser zu ermutigen und zu unterstützen.
Manchmal, wenn uns eine besondere Prüfung wirklich schwer trifft, sind wir verzweifelt. Menschlich gesprochen, sehen wir keinen Ausweg. In solchen Situationen schreien wir zu Gott. Wir wissen, dass er uns versprochen hat, uns nicht zu verlassen. Gott versichert uns auch, dass keine Prüfung je das übersteigen wird, was wir mit seiner Hilfe tragen können. Der ganze 31. Psalm ist in diesem Zusammenhang sehr inspirierend: „HERR, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zuschanden werden, errette mich durch deine Gerechtigkeit! Neige deine Ohren zu mir, hilf mir eilends! Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest!“ (Psalm 31,1-3). Ja, David LERNTE durch seine Prüfungen, auf Gott zu vertrauen. Das können auch wir.
Es gibt viele andere Dinge, die wir durch Prüfungen lernen können. Durch sie können wir Charakterstärke und die richtigen geistlichen Gewohnheiten entwickeln. Wenn wir offenbleiben, werden wir schließlich die wichtigen Lehren von Gott verstehen, die mit ihnen einhergehen. Doch vergessen wir nie die unschätzbaren Lektionen, die diese Situationen für uns alle bedeuten können. Sie werden uns helfen, bessere Christen und tüchtige Diener Gottes zu werden. Nehmen wir uns vor, nicht aufzugeben, sondern durchzuhalten. ❏