Die Reise der drei Weisen nach Bethlehem
Von Santiago Lange

Die Reise der Weisen aus dem Morgenland nach Bethlehem, die wir im Matthäusevangelium 2,1-12 nachlesen können, stellt sicherlich die mysteriöseste und exotischste unter den Kindheitsgeschichten Jesu dar. Die Weisen scheinen aus dem Nichts aufzutauchen. In die Weihnachtsgeschichte passen sie, wie man meinen möchte, gar nicht recht hinein. Matthäus macht keine näheren Angaben zu ihrer Nationalität, ihrer Glaubenszugehörigkeit bzw. dazu, woher sie von der Bedeutung des Sterns, den sie gesehen hatten, wussten. Sie tauchen einfach auf, übergeben ihre Geschenke und verschwinden wieder.

Im Bericht des Matthäus kommen neben den Weisen noch andere Charaktere vor, Menschen, die mit ihnen von Jerusalem nach Bethlehem hätten reisen sollen, um sich dem neugeborenen König der Juden zu beugen. Die Geschichte von der Geburt Christi erzählt von einer langen Reise auf dem Weg der Weisheit. Sie berichtet jedoch auch von Ablehnung; der Weigerung, eingehende Erkundigungen über den neugeborenen Messias einzuholen und sich auf die Suche nach ihm zu begeben. Die Geschichte von der Geburt unseres Erlösers spricht zugleich die ihm geltende Absage König Herodes’ an, die der führenden jüdischen Theologen in Jerusalem ebenso wie die der breiten Öffentlichkeit dieser Stadt.

König Herodes’ Ablehnung des neugeborenen Jesus beruhte auf Hass und Furcht. Herodes sprach von sich selbst als „dem Großen“, und in mancherlei Hinsicht wurde er zugegebenermaßen diesem Titel durchaus gerecht. 43 Jahre lang bewahrte er dem unter römischer Besatzung stehenden Israel den Frieden. Er baute Städte ebenso wie den Tempel in Jerusalem, den Jesus 33 Jahre später betreten sollte. Zeitweilig konnte er sogar großzügig sein. In wirtschaftlich schweren Zeiten hob er Steuern auf. Und als Israel im Jahre 25 v. Chr. von einer Hungersnot heimgesucht wurde, ließ er sein eigenes Tafelgold schmelzen, um für die Hunger leidende Bevölkerung Getreide zu kaufen. Herodes besaß jedoch auch schwerwiegende Charakterfehler. So war er nicht nur selbstherrlich, sondern überdies krankhaft misstrauisch. Josephus, ein jüdischer Historiker jener Zeit, nannte Herodes „einen blutrünstigen alten Mann“. Jeder, der ihm seine Macht hätte streitig machen und ihm gefährlich werden können, wurde auf der Stelle beseitigt.

Von diesem Mann also berichtet uns Matthäus, er sei bestürzt gewesen angesichts der Botschaft, Weise aus dem Morgenland seien erschienen und hätten sich nach dem König der Juden erkundigt, der geboren worden sei. Der Begriff „bestürzt“ im Matthäusevangelium 2,3 (Elberfelder Bibel) bedeutet so viel wie stark beunruhigt, erschüttert, völlig durcheinander. Herodes „erschrak“ (Lutherbibel), als er von der Ankunft dieser Reisenden aus dem Orient hörte. Er fürchtete einen Rivalen, jemanden, der ihm seinen Thron streitig machen könnte und darüber hinaus vom Volk auch noch begrüßt wird.

Die Ablehnung seitens der Schriftgelehrten und Hohenpriester unterschied sich von der König Herodes’. Sie beruhte auf Ignoranz. Herodes „ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte. Und sie sagten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten (Micha 5,1): ‚Und du, Bethlehem im jüdischen Lande, bist keineswegs die kleinste unter den Städten in Juda; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll’“ (Mt 2,3-6).

Die an diesem Treffen mit Herodes teilnehmenden Theologen kannten sich gut in ihrer Bibel aus und sagten ihrem König die Wahrheit, gleichwohl schlossen sie sich den Weisen auf ihrem Weg der Weisheit nicht an. Die Weigerung der Hohenpriester und Schriftgelehrten mitzugehen äußerte sich in Ignoranz. Sie wussten von allem, taten aber nichts. Die historisch belegte biblische Wahrheit war ihnen absolut gleichgültig. Sie gingen ganz in ihrem religiösen Handeln, ihrem „Glaubensaktionismus“ und ihren Tempelritualen auf. Jesus bedeutete ihnen persönlich nichts, und so ignorierten sie ihn einfach. In ihrer Schilderung des Lebens und Werkes Christi offenbaren die vier Evangelien eine geradezu beängstigende Entwicklung im Denken dieser Hohenpriester und Schriftgelehrten. Ihre Ignoranz verhärtete sich in den drei Jahren des öffentlichen Wirkens Jesu in offene Gegnerschaft und fand in einer ungezügelten Gier nach seinem Blut ihren Höhepunkt.

Welche Bedeutung hat aber alles das für uns heute? Wir werden hier warnend darauf hingewiesen, dass Erkenntnis und Wissen kein Ersatz für ein in Jesus Christus geführtes Leben sind. Mag unser Leben auch vom Wort Gottes durchdrungen sein, so könnten wir uns schließlich doch in Glaubenserkenntnis und Religionsgeschichte um ihrer selbst willen verlieren, ohne uns bereitwillig der Wahrheit zu unterwerfen, auf die sie verweisen.

Für uns ist es wichtig, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Welt voller Männer und Frauen ist, die mit Jesus Christus als Herrscher ihres Lebens nichts anfangen können. Es gibt viele moderne Erscheinungsformen des Königs Herodes, viele zeitgemäße Glaubensführer und Durchschnittsbürger von der Straße, die frank und frei einräumen, an Jesus oder seiner Botschaft keinen Bedarf zu haben. Sie beharren darauf, dass ihr Leben, so wie es ist, ganz in Ordnung sei, und wollen, selbstgefällig wie sie sind, ihre Belange auch weiterhin nicht aus der Hand geben.

Als die Weisen in Bethlehem angekommen waren, „gingen [sie] in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe“ (Mt 2,11).

Die etwa elf Kilometer zwischen Jerusalem und Bethlehem stellten für die Weisen eine Etappe auf dem Weg der Weisheit und Ehrerbietung dar. Mit ihrem Handeln erkannten sie das Recht dieses Königskindes an, in ihrem Leben Herrschaft und Führung zu übernehmen. Ihre Anbetung war spontan und von Freude erfüllt. Erst fielen sie vor dem neugeborenen König nieder, dann brachten sie ihm wertvolle Geschenke dar, die zudem von tieferer Bedeutung waren.

Gold ist eines der wertvollsten Metalle, die die Menschen kennen, und ist von jeher das gängigste Symbol der Königswürde. Weihrauch, ein exotischer Duft, der im jüdischen Tempel während des Gottesdienstes benutzt wurde, stellte ein weiteres erlesenes Geschenk für königliche Würdenträger dar. Bestimmte Opfergaben, die dem Herrn dargebracht werden sollten, pflegte der Priester mit Weihrauch zu weihen. Dieses Geschenk war also ein Zeichen dafür, dass Jesus weit mehr als ein König von Fleisch und Blut war, nämlich der göttliche Sohn des Allmächtigen selbst. Die dargebrachte Myrrhe gab der Anbetung eine ominöse Note, weil sie ein merkwürdiges Geschenk für einen neugeborenen König war. Myrrhe war ein aromatisches Gewürz, das man zur Einbalsamierung von Toten nutzte. Vermischt mit Wein konnte es als Anästhetikum, also als Betäubungsmittel, eingenommen werden. Als Jesus am Kreuz hing, wurde ihm mit Myrrhe versetzter Wein gereicht. Somit war das Geschenk der Weisen eine angedeutete Prophetie des späteren Leidens und Todes dieses Säuglings, der geboren war, um für die Sünden der Welt zu sterben. Ein Tod, der die Verheißung des Engels erfüllen sollte, der zu Joseph gesagt hatte: „... und du sollst seinen Namen Jesus nennen; denn er wird sein Volk erretten von seinen Sünden“ (Mt 1,21, ELB).

Dag Hammarskjöld, ein gläubiger Christ, der in den 50er Jahren Generalsekretär der Vereinten Nationen wurde, schrieb in sein Tagebuch: „Wie folgerichtig ist es doch, dass auf den Advent das Christfest folgt. Wer seinen Blick auf die Zukunft richtet, sieht die Wiege bereits in Golgatha stehen und das Kreuz schon in Jerusalem aufgerichtet.“

Ob die Weisen es bereits so erkannten oder nicht, das Kind, vor dem sie niederknieten, sollte eines Tages heranwachsen, um ihretwillen zu leiden und zu sterben. Und dank seines Opfertodes konnten die Weisen Vergebung erlangen und sich kraft seiner Macht ändern. Unabhängig davon, wie sie ihre Bedeutung zu jenem Zeitpunkt einschätzten, zeugten ihre drei Geschenke von der Königswürde des Neugeborenen, seiner Göttlichkeit und seinem um der Menschen willen erlittenen Tod. Dies ist gewiss eine erstaunliche, Weisheit bekundende Weihnachtsreise. Die meisten Juden erkannten nicht, welchen Schatz sie mit der Geburt Jesu empfangen hatten. Obwohl sie, was ihre Vorbildung anbelangte, absolut im Vorteil waren, lehnten sie es ab, sich mit der Geburt des neugeborenen Königs auseinander zu setzen. Die Weisen dagegen, die von ihrem geistlichen Horizont her die geringsten Voraussetzungen dafür mitbrachten, suchten, fanden und beteten an.

Unsere eigene persönliche Reise anlässlich des Christfestes mag uns nach Hause zu Familie und Freunden führen, an den gedeckten Tisch, zum Weihnachtsbaum und dem Berg an Geschenken, oder auch vor den Fernseher. Wo auch immer uns unsere Reise diesmal hinführen wird, können wir Jesus nur eine von zwei Haltungen entgegenbringen. Einen Mittelweg oder eine neutrale Position gibt es nicht. Entweder bringen wir ihm Verehrung und Hingabe oder aber Ablehnung entgegen; Leben oder Tod; Glauben oder Unglauben. Ich bete darum, dass wir alle die Weisheit und Freude der Weisen erneut aufleben lassen und bekennen, dass Jesus Herr über unser Leben ist – in der Weihnachtszeit und das ganze Jahr über. ❏


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