Vom Gipfel in den Abgrund

Von Santiago Lange

Der Prophet Elia hatte gerade den größten Sieg seines Dienstes auf dem Gipfel des Karmel erlebt. Obwohl ihm achthundertfünfzig falsche Propheten gegenüberstanden, hatte Elia in dem Namen des HERRN triumphiert, weil er Feuer herab gesandt hatte, um den Opferstier und den wassergetränkten Altar zu verbrennen. Elia triumphierte erneut, als Gott einen starken Regen sandte, um die Dürre zu beenden, die dreieinhalb Jahre lang den Boden versengt hatte. Jeder Erfolg führte zu einem weiteren.

Christ zu werden, kann im Leben so ein "Gipfel" des Triumphes sein. Für einige mag es sich so anfühlen, als sei ihnen damit eine große Last von den Schultern genommen worden. Das Lesen der Bibel wird zur wahren Freude und die Beziehung zu Jesus macht Menschen glücklich. Woran liegt dieser Erfolg? Die Antwort darauf ist: Dem gnädigen HERRN zu vertrauen. Das einzige Problem mit "Gipfelerlebnissen" ist, dass man früher oder später vom Gipfel heruntersteigen muss. Ab und zu ist der Abstieg und im Tale zu leben, schwieriger als der Aufstieg. Mose stieg vom Berg Sinai herab und musste erkennen, dass das Volk ihn als Vermittler durch ein goldenes Kalb ersetzt hatte.

Es scheint eine Tatsache des Lebens zu sein, dass die Dinge, wenn sie gut zu laufen scheinen, dazu tendieren, abzustürzen, statt sich zu normalisieren. Wir glauben gerne, dass unsere Erfolge auf unsere eigenen Talente oder Fähigkeiten zurückzuführen sind. Damit drücken wir aus, dass wir die Richtung unseres Lebens selbst bestimmen und kontrollieren möchten. Deshalb wäre ein Abrutschen vom Gipfel in die Tiefe mehr als nur unangenehm – es kann unser rosiges Selbstbild erschüttern und uns verletzen.

Elia war ein Mensch wie wir. Nach einer Reihe von Erfolgen trat ihm König Ahabs Frau, Isebel entgegen. Sie war nicht beeindruckt von Elia und sagte im Zorn zu ihm: "Ich schwöre, dass ich dir das antun werde, was du meinen Propheten angetan hast!" Diese grausame heidnische Frau verunsicherte Elia, und er hielt es für das Beste, um sein Leben zu rennen. Er machte sich auf den Weg nach Beerscheba, im Norden der Wüste Negev und lief immer weiter in die Wüste hinein. Völlig deprimiert betete er: "Oh Gott, nimm mir mein Leben".

Wie bei vielen unserer Fehlschläge, ist es schwierig, herauszufinden, was genau mit Elia und auch uns geschehen ist. Wir wissen, dass Angst eine wichtige Rolle gespielt hat. In 1. Könige 19, 3 lesen wir: „Da fürchtete er sich" (LUT 84). Aus seiner Sichtweise glaubte er einen guten Grund zu haben, um sich zu ängstigen. Wo immer in der Bibel etwas über Isebel geschrieben steht, wird sie als rücksichtslos und böse dargestellt. Wenn sie geschworen hatte, jemanden zu töten, hat sie es auch getan.

Merkwürdigerweise können Menschen, die recht talentiert sind, auch durch Angst gehemmt werden. Der Erfolg mag ihnen, wie bei Elia leichtfallen, aber im Hinterkopf haben sie oft eine leise Stimme, die sagt: „Es wird nicht von Dauer sein! Es kann jederzeit zur Katastrophe kommen.“ Nicht selten lässt sich diese Angst auf ein schwaches Selbstbild zurückführen. Eine Form der Angst verursachte vielleicht Elias Versagen, aber das allein kann nicht alle seine Reaktionen erklären. Möglicherweise haben auch körperliche und geistige Erschöpfung eine Rolle gespielt. Psychologen sagen uns, dass Depressionen ebenso sehr auf unsere körperliche Gesundheit wie auf unsere seelische Verfassung zurückzuführen sind.

Ein weiterer Faktor trug zum Scheitern des Propheten bei, der als "Elia-Komplex" bezeichnet werden kann. Dieser Komplex wird in 1. Könige 19, Vers 10, beschrieben: „Ich habe geeifert für den HERRN, den Gott Zebaoth; denn Israel hat deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet und ich bin allein übrig geblieben, …“

Isolation ist eines der schlimmsten Dinge, die geschehen können. Es ist unnatürlich, allein zu sein. Elia fühlte sich allein, und dieses Gefühl spielte eine große Rolle bei seiner Depression. Laut 1. Könige 19, Vers 3, war ein Teil davon seine eigene Schuld, denn es heißt, er habe seinen Diener in Beerscheba zurückgelassen. Weiter in Vers 18 sagt Gott zu Elia, dass siebentausend andere Israeliten immer noch treue Gläubige waren. Der Prophet war also entgegen seiner Wahrnehmung NICHT allein.

Einige Christen, die ein verzehrendes Verlangen zu haben scheinen, Gott zu dienen und ihm zu folgen, leiden in Wirklichkeit an einem "Elia-Komplex". Indem sie denken, sie seien "die einzigen noch lebenden Gläubigen", schneiden sie sich letztendlich von der Hilfe und Ermutigung anderer Brüder und Schwestern im Herrn ab. Das ist eine zerstörerische Möglichkeit, sich das Leben schwer zu machen.

Zu versagen, scheint eine der schwierigsten Erfahrungen für Christen und Menschen überhaupt zu sein. Unser ganzer sozialer und kultureller Schwerpunkt liegt auf den äußeren Zeichen des Erfolgs. Unsere Kirchen sollen ein steigendes Budget und ein zunehmendes Beteiligungsverhalten aufweisen. Einzelne Gläubige beurteilen ihren geistlichen Status oft danach, wie gut sie in der Welt dastehen. Es gibt den subtilen Glauben, dass, wenn man wirklich auf Gott vertraut, ein Scheitern irgendwie keine Option und eigentlich unmöglich ist.

Christen können jedoch versagen. Manchmal liegt es nicht an uns selbst, denn die Ursache für ein Scheitern könnte mit der gefallenen Welt, in der wir leben, zusammenhängen. Doch wir müssen den Tatsachen ehrlich ins Auge sehen und lernen zuzugeben, dass unsere Niederlagen auch auf persönliche Sünde oder Unzulänglichkeiten zurückzuführen sein können. Ob es nun Stolz, Lust oder Furcht ist, Gläubige können von der Sünde angegriffen werden und Rückschläge erleiden. Das Versagen aufgrund von Sünde ist am schwersten zu bewältigen. Wir haben selbst Schwierigkeiten, uns dem zu stellen, und es gibt keine Möglichkeit, andere hiervon wissen zu lassen. Wir könnten sprichwörtlich wie Elia unter einem Wacholderbaum enden und uns wünschen, wir wären tot. Aber, des Rätsels Lösung sieht anders aus. Empfangen Sie die gute Nachricht. Die Bibel und mit ihr Jesus spricht zu Ihnen. Er spricht von umfassender Vergebung, grenzenloser Gnade, absoluter Versöhnung, durch den lebendigen Glauben an ihn und seinem glorreichen Sieg mit Ihnen. Als Elia allein in der Wüste war, sandte Gott ihm einen Engel. Gott hätte ihn verzagen lassen können. Stattdessen hat er ihn emporgehoben und ihm gedient. Derselbe Gott ist, wie bei Elia bereit, Ihnen und der ganzen Menschheit jetzt die Hand zu reichen, um uns allen zu sagen, dass wir nie allein sind. Er wirkt in, mit und durch uns, damit zeigt er uns, dass jeder einzelne Mensch für ihn äußerst wertvoll und kostbar ist. Gott freut sich in all unseren Siegen und hilft uns in all unseren Schwierigkeiten. Er schenkt uns den Glauben in einem hoffnungsvollen Leben. Wir dürfen entscheiden, sein Angebot anzunehmen und ihm dafür dankbar zu sein. Und – wir dürfen dem gnädigen HERRN vertrauen. Lasst es uns glauben, akzeptieren und danach leben.


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