Einer der größten Vorteile beim Fernsehen ist wohl die Tatsache, dass man sehenswürdige kulturelle Ereignisse, Sportveranstaltungen und sogar historisch denkwürdige Anlässe aus aller Welt miterleben kann, ohne umständlich einen Parkplatz suchen, für Eintrittskarten Schlange stehen, Sitzplätze ergattern und gegen Menschenmengen ankämpfen zu müssen: Sie sitzen daheim vor dem Kasten, können sich die besten Plätze im Haus nehmen und müssen nicht einmal Eintritt bezahlen.
Doch sicher haben Sie auch schon irgendwelche sportlichen oder kulturellen Veranstaltungen „live“ miterlebt und wissen daher, dass es tatsächlich einen Unterschied macht, ob man selbst vor Ort ist oder aber das Geschehen vom Wohnzimmer aus verfolgt. Vor Ort sind Sie Teilnehmer – selbst wenn Sie auf der Zuschauertribüne sitzen. Sie nehmen am Geschehen teil und erleben es weitaus intensiver. Sie können mit Ihren Beifallsbekundungen (oder ungebetenen Ratschlägen!) Einfluss auf die Spieler oder Darsteller nehmen. Und den Zuschauern am häuslichen Fernsehapparat geben Ihre Reaktionen zu erkennen, wie gut, aufregend, spannend, reizvoll, anregend, bereichernd oder interessant die Veranstaltung „wirklich“ ist.
Ein christliches Leben ist nicht etwas, was man vom Wohnzimmersessel aus per Fernbedienung steuern kann. Christliche Lebensführung ist eine „Live“-Erfahrung. Jeder ist Teilnehmer. Das Christentum verlangt von uns, dass wir nicht etwa die „Bühne des Lebens“ verlassen und nur von fern zuschauen, sondern dass wir uns Tag für Tag von Neuem engagieren. Es geht darum, dass wir aktiv als „Spieler“ auftreten. Es geht um ein Geschehen, das wir „live“ erleben.
„Ich bin gekommen, damit sie das Leben und volle Genüge haben sollen“, hat Jesus gesagt (Joh. 10,10).
Was hat er damit gemeint? Und was können wir tun, um „Leben und volles Genüge“ zu haben?
Viele Menschen beunruhigt der Gedanke ans Sterben; andere sehen sich mit einer sehr viel tieferen Angst konfrontiert – dass wir sterben könnten, ohne ein wirkliches Leben begonnen zu haben. [1]
„Noch ein klein bisschen mehr“, soll ein Milliardär erwidert haben auf die Frage, wie viel Geld genug wäre, um ihn zu einem zufriedenen Mann zu machen. „Noch ein klein bisschen mehr.“ Und ein sichtlich erfolgreicher Geschäftsmann soll einmal geäußert haben, er wünschte, man hätte ihm gesagt, wie unbefriedigend all seine Errungenschaften letztlich sein würden.
Früher oder später stellt sich uns eine der großen Fragen des Lebens: „Ist das alles?“
„Tief in ihrem Innern sehnen sich viele von uns nach etwas wirklich Lohnendem. Wir suchen nach etwas, was wirklich zählt. Es scheint etwas im Wesen des Menschen verankert zu sein, was ihn nach einer lebensverändernden Realität verlangen lässt.
Jesus kam, um uns Leben zu geben. Wirkliches Leben. Lohnendes Leben. Neues Leben. Ewiges Leben. Und dieses neue Leben beginnt, sobald wir uns ihm anvertrauen und ihn als den Einen annehmen, der das Recht hat, uns zu führen und zu leiten, uns zu helfen, zu lehren und uns nach seinem Bilde zu formen. Das hört sich dramatisch an, doch die Realität unseres christlichen Alltags sieht oft gar nicht so anders aus als unser „vorchristliches“ Leben. Wir haben nach wie vor Rechnungen zu bezahlen und sind keineswegs gegen Krankheiten gefeit. Wir werden immer noch müde, und auch das Altwerden bleibt uns nicht erspart. Wir müssen weiterhin gegen schlechte Laune, Versuchungen und Entmutigungen ankämpfen.
„Jesus kam, um uns Leben zu geben. Wirkliches Leben. Lohnendes Leben.
Manchmal sieht es so aus, als ob sich gar nichts geändert hätte. Und doch sind wir aus der Sicht unseres Schöpfers neue Menschen geworden: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch“, sagte Jesus, „wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen“ (Joh. 5,24). Der Apostel Paulus schrieb an die Christen in Ephesus: „Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat ... auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht ...“ (Eph. 2,4-5). Und den Christen in Kolossä und Laodizea versicherte Paulus: „Er hat uns errettet von der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes ...“ (Kol. 1,13).
So mag es durchaus so aussehen, als ob sich gar nichts geändert hätte; doch in Wirklichkeit hat unser ganzes Leben – in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – eine geistliche Veränderung erfahren. Wenn wir Jesu Opfer für unsere Sünden annehmen und ihn um Vergebung bitten, damit wir das Leben führen können, das er von uns erwartet, dann erfüllen wir die Vorsehung, für die Gott uns erschaffen hat.
Wir treten in eine geistliche Beziehung ein, die uns für unser Alltagsleben stark macht und uns Kraft, Hoffnung und Sinngebung spendet, wie wir sie außerhalb dieser Beziehung nicht erfahren können. Sicher – wir sehen uns mit denselben Problemen konfrontiert wie früher, aber wir können jetzt auf eine neue Weise und aus einer neuen Sicht heraus reagieren. Wir können mit dem Apostel Paulus sagen, dass nicht alles, was uns begegnet, immer „gut“ ist, doch „dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind“ (Röm. 8,28). Und: „Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?“ (Röm. 8,31). Unser Leben hat neue Bedeutung, Sinngebung und Hoffnung erhalten.
Wir bekommen einen ersten Eindruck davon, was dieses neue Leben eigentlich bedeutet, wenn wir uns die folgende Frage stellen: Was hat Jesus gemeint, als er davon sprach, wir sollten das „Leben und volle Genüge“ haben?
Das griechische Wort zoe, das Johannes für „Leben“ benutzte, „bezeichnet meist Leben als ein Geschenk Gottes“. [2] Um ein umfassendes Verständnis für die Bedeutung und den Sinngehalt dieses Wortes zu erreichen, sollten wir uns näher ansehen, wie der Evangelist Johannes das Wort „Leben“ verwendet: In seinem Bericht taucht das Wort 36-mal auf – gegenüber nur 16 Wortnennungen in den drei anderen Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) insgesamt.
Das Leben, von dem Jesus gesprochen hat, ist weder auf eine zukünftige Zeit noch auf unsere gegenwärtige physische Erfahrung beschränkt. Ja – Jesus spricht von einem Leben über den Tod hinaus, aber auch davon, dass das Leben hier und jetzt eine Wandlung erfährt. Und Johannes weist verschiedentlich darauf hin, dass Leben ein Geschenk Gottes ist. „Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber“ (Joh. 5,26; 1,4). Der Sohn ist das Brot des Lebens (Joh. 6,26. 48), und er gibt der Welt das Leben durch seinen Tod (Joh. 6,51) und durch seinen Geist und seine Worte (Joh. 6,63. 68). [3] Johannes verdeutlicht auch die folgenden Zusammenhänge: Jesu Leben ist das „Licht“ der Menschen (Joh. 1,4); die Worte, die Jesus sprach, sind Leben (Joh. 6,63. 68); auch Jesus selbst hat von sich gesagt, er sei „das Leben“ (Joh. 11,25; 14,6). „Aber er ist mehr als die Quelle, er ist die erhaltende Kraft, ohne die nichts bewirkt werden kann (Joh. 15,5). Er ist das Leben selbst.“ [4]
Die Aussage Jesu, er sei gekommen, damit wir Leben und volle Genüge hätten, ist im Kontext eines Berichts zu verstehen, in dem Jesus als „der gute Hirte“ dargestellt wird. Das war ein höchst anschauliches Bild für seine damaligen Zuhörer und Leser, die mit den schwierigen Aufgaben eines Hirten beim Beschützen, Führen und Betreuen einer verwundbaren Herde durchaus vertraut waren. Und zweifellos verbanden sie mit diesem Bild auch die tröstliche Versicherung der alttestamentlichen Psalmen, in denen von Schafen und Hirten die Rede ist, darunter auch das uns heute als 23. Psalm geläufige Dank- und Loblied Davids („Der Herr ist mein Hirte“).
„Das Hauptanliegen Jesu war die Erlösung (das Wohlergehen) der Schafe, und die definierte er als freien Zugang zur Weide und Erfüllung aller Bedürfnisse. Unter seinem Schutz und seiner Gnade erfahren sie das Beste, das ihnen das Leben bieten kann. Im Zusammenhang mit dem Hinweis des Johannes auf das ewige Leben gewinnt diese Aussage eine neue Bedeutung. Jesus kann dem Leben einen völlig neuen Sinn geben, weil er alle Bedürfnisse erfüllt und uns sicher führt.“ [5]
„Jesus kann dem Leben einen völlig neuen Sinn geben, weil er alle Bedürfnisse erfüllt und uns sicher führt.“ Eine gewichtige Aussage! Aber sie ist wahr. Jesus gibt eine Antwort auf unsere Suche nach „etwas wirklich Wichtigem“, nach etwas, das uns zu „wirklichem Leben“ verhilft. Seine Antwort ist eine „geistliche“ Antwort, und doch erfahren wir sie in unserem physischen Leben. Er hält diese Antwort für uns bereit, wenn wir die Realität unserer geistlichen Bedürfnisse akzeptieren und uns nicht damit begnügen, unsere Befriedigung in Gesundheit, Reichtum, Macht, Liebe oder Leistung zu suchen (und uns damit auf unsere eigenen Fähigkeiten, Lebensumstände und Erfahrungen zu beschränken). Erst wenn wir die Realität Gottes und die Realität unserer Abhängigkeit von ihm – als unserem Schöpfer, Erlöser und Erhalter – anerkennen, erschließt sich uns ein Verständnis dafür, wie unsere innersten und doch höchst realen Bedürfnisse und Hoffnungen Erfüllung finden können.
„Das Christentum bekräftigt, dass Gott die Menschheit erschaffen hat. Was aber, wenn das Verlangen, zu Gott in Beziehung zu treten, in uns angelegt ist? Könnte es sein, dass uns das Gefühl der Leere und des Mangels an Erfüllung auf etwas oder auf einen hinweisen soll, der Abhilfe schaffen kann? Könnte Augustinus, der wohl größte christliche Autor der Spätantike, Recht gehabt haben, als er die folgenden Worte als Gebet zu Gott niederschrieb:
„Du hast uns zu Dir hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir?“ [6]
– Augustinus –
Wir sind von Gott und für Gott geschaffen worden. Wir können Gott ignorieren (oder es zumindest versuchen). Wir können aber auch seine Liebe, seine Führung, seinen Plan für uns und seine Gegenwart akzeptieren.
Die Briefe der Apostel an die frühkirchlichen Gemeinden befassten sich vorwiegend mit der einen Frage: Wie gelingt es uns, in Verbindung mit Gott zu leben, in seiner Barmherzigkeit zu ruhen und im Geist erneuert zu werden?
Die folgenden Worte, im ersten Jahrhundert nach Christus geschrieben, geben uns Gewissheit:
„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden!“ – 2. Kor. 5,17 –
„Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit ...“ (Eph. 4,23-24).
„Wie sollten wir in der Sünde leben wollen, der wir doch gestorben sind? Oder wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln. Denn wenn wir mit ihm verbunden und ihm gleich geworden sind in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein. Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, so dass wir hinfort der Sünde nicht dienen. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde ... So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebt Gott in Christus Jesus. So lasst nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, und leistet seinen Begierden keinen Gehorsam. Auch gebt nicht der Sünde eure Glieder hin als Waffen der Ungerechtigkeit, sondern gebt euch selbst Gott hin, als solche, die tot waren und nun lebendig sind, und eure Glieder Gott als Waffen der Gerechtigkeit“ (Röm. 6,2-13).
Diese Worte geben uns eine tiefe Gewissheit: Wir werden daran erinnert, was Gott für uns in Jesus Christus getan hat. Er hat unser „altes“ Leben „dem Tod übergeben“. Und dann hat er uns neues Leben „in Christus“ gegeben, damit wir als freie Menschen, nicht länger Sklaven der Sünde, leben können. Paulus drängt uns, unser neues Leben „in Christus“ zu beginnen. Diese Formulierung benutzt er häufig. Dazu heißt es in einem Bibelkommentar: „Wir können physisch nur leben, wenn wir Luft einatmen und Luft in uns ist; genauso können wir das Leben Gottes erst leben, wenn wir Christus annehmen und Christus in uns ist.“ [7]
„Christus annehmen“ bedeutet, dass uns ein neues Leben gegeben wird – dass wir belebt werden. Der Glaube an diese geistliche Realität mag uns zuweilen schwerfallen, doch dies ist die letztlich gültige Realität unseres Lebens. Deshalb schreibt Paulus, wir seien nun frei, unser Leben Gottes Vorsehung und Willen hinzugeben, anstatt unseren Begierden oder Zwängen nachzugeben, denen wir zuvor nicht widerstehen konnten.
Wie ist das möglich? Paulus erläutert an späterer Stelle in seinem Brief an die Römer: „Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, wenn denn Gottes Geist in euch wohnt ... Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt“ (Röm. 8,9-11).
Paulus versichert uns, dass wir nicht allein sind. Wenn wir Gott unser Leben anvertrauen, lebt er in uns durch den Heiligen Geist. Genau das hat Jesus seinen Jüngern versprochen: „... Ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein“(Joh. 14,16-17).
Der Heilige Geist, die dritte „Person“ des dreifaltigen Gottes (Vater, Sohn und Heiliger Geist), lebt in einem jeden Menschen, der Gott sein Leben in Jesus Christus überlässt. Dann wohne Gott in uns, hat Jesus hinzugefügt: „Wer mich liebt, der wird mein Worthalten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen“ (Joh. 14,23).
Die Briefe, die Paulus an die Kirchengemeinden schrieb, verweisen immer wieder auf das Wirken des Heiligen Geistes in unserem Leben. Der Heilige Geist erinnert uns ständig an Gottes Gnade und Liebe. Er verlangt nicht von uns, dass wir ihn annehmen und dann „gut“ sind (oder zumindest versuchen, gut zu sein!). Vielmehr fordert er uns auf, seine Gegenwart zuzulassen; er bietet uns seine Gnade an; er schenkt uns seine Liebe; er gibt uns ein neues Leben; und er stärkt uns für dieses Leben, indem er mit uns lebt und somit sicherstellt, dass wir alles bekommen, was wir brauchen!
Unter anderem sagt uns die Heilige Schrift: Der Geist hilft unserer Schwachheit auf (Röm. 8,26). Unser Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes (1. Kor. 6,19). Gott hat den Geist als Unterpfand in unsere Herzen gegeben (2. Kor. 1,22). Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit (2. Kor. 3,17).
Die „Frucht“ des Geistes in unserem Leben ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit (Gal. 5,22).
Wir müssen zulassen, dass uns der Heilige Geist leitet; dann können wir das „neue Leben“ führen, das Gott uns bestimmt hat. Um dieses neue Leben mit all seinen Möglichkeiten geht es im Neuen Testament. An zahlreichen Stellen werden wir aufgefordert, nach Höherem zu streben. Die im Folgenden genannten Passagen sind nur eine Auswahl:
„Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ – Joh. 14,23 –
Liebe
Freude
Friede
Geduld
Freundlichkeit
Güte
Treue
Sanftmut
Keuschheit
(Gal. 5,16-23)
Das Hohelied der Liebe (1. Kor. 13)
Das Leben als Gottesdienst (Röm. 12)
Regeln zur christlichen Lebensführung (Kol. 3)
Natürlich reicht die Lektüre solcher Ratschläge und Schilderungen nicht aus, um uns zum vollkommenen Abbild Jesu Christi zu machen! Vielmehr wird unser Streben nach einem christlichen Lebenswandel immer wieder durch Misserfolge und Enttäuschungen getrübt. Das ist normal. Jeder Christ hat gegen das „alte Leben“ und den Einfluss der Sünde anzukämpfen. Lesen Sie in Römer 7, wie der Apostel Paulus von seinem 25 Jahre währenden Kampf berichtet. Trotz seiner offensichtlichen Verzweiflung gelangt er zu der Schlussfolgerung, dass er durch Jesus Christus erlöst ist.
In einer anderen Passage erinnert er uns daran, dass wir sogar in all unserem Leiden und Kämpfen Hoffnung und Sinn erkennen können: „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm. 5 1-5).
Das Leben im Reich Gottes beginnt hier auf Erden.
Leider gilt die Bibel häufig als realitätsfern – als unfähig, der realen Welt, in der wir leben müssen, gerecht zu werden. Doch wo immer wir die Bibel – im Alten wie im Neuen Testament – aufschlagen: Wir erkennen sehr schnell, wie „nahe“ die Heilige Schrift unserer menschlichen Erfahrung ist. Sicher, sie befasst sich mit unserem geistlichen Leben, aber gerade dies ist doch die letztlich gültige Realität des Lebens schlechthin. Und unser geistliches Leben, oder vielmehr der Mangel daran, entscheidet über unsere Ausrichtung und Stärkung im Umgang mit unseren alltäglichen physischen, emotionalen und mentalen Erfahrungen.
Zuweilen wird dem Christentum unterstellt, es veranlasse die Gläubigen, sich von „der realen Welt“ zu „lösen“. (Fairerweise muss man zugeben, dass das Verhalten mancher Christen und Kirchen tatsächlich ein wenig realitätsfern anmutet. Aber solche Fälle sollten nicht mit dem in der Bibel beschriebenen Christentum verwechselt werden!) Zuweilen entsteht der Eindruck, dass sich Christen und/oder ihre Kirchen aus der Arena des Alltagslebens zurückgezogen haben in eine Festung der Geistlichkeit und Abgeschiedenheit, um dort ihre Zeit auf Erden in der Gesellschaft anderer Christen zu verbringen und auf die Wiederkehr Jesu zu warten. Doch Jesus hat so zum Vater gebetet: „Ich bitte dich nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen ... (Joh. 17,15).
„Wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt.“ – Joh. 17,18 –
„Und nun will ich euch den einzig richtigen Weg zeigen. Wenn ich mit größter menschlicher Beredtheit und in engelgleicher Verzückung spreche, habe aber die Liebe nicht, so sind meine Worte nichts als das Knarren einer rostigen Tür. Wenn ich das Wort Gottes mit aller Macht verkünde und alle seine Geheimnisse und Erkenntnisse sonnenklar verständlich mache und mein Glaube so stark ist, dass ich zu einem Berg sagen könnte, beweg dich‘, und er bewegt sich, habe aber die Liebe nicht, so bin ich nichts. Wenn ich alles, was ich besitze, den Armen gebe und mich sogar als Märtyrer verbrennen lasse, habe aber die Liebe nicht, so nützt es mir nichts. So kann ich nun sagen, glauben und tun, was ich will – ohne Liebe vermag ich nichts. Die Liebe ist langmütig. Die Liebe sorgt sich mehr um andere als um sich selbst. Die Liebe begehrt nicht, was sie nicht hat. Die Liebe stellt sich nicht zur Schau, kennt keinen Hochmut. Sie drängt sich anderen nicht auf, sucht nicht den eigenen Vorteil, lässt sich nicht erzürnen, trägt anderen ihre Sünden nicht nach. Sie freut sich nicht, wenn anderen Unrecht geschieht, findet vielmehr Gefallen, wenn der Wahrheit die Ehre gegeben wird. Sie erduldet alles, vertraut stets auf Gott, sucht immer das Beste, schaut nie zurück, sondern hält durch bis zum Ende. Die Liebe stirbt nie.“ (1. Kor. 13, Übertragung nach: Eugene H. Peterson, The Message. The New Testament in Contemporary Language; NavPress, 1993.)
Nicht das, was wir predigen oder beten, macht uns zu Christen, sondern das, was wir tun und glauben. – Francis Bacon –
In seinem Brief an die Kolosser hat Paulus „Regeln für eine christliche Lebensführung“ aufgestellt, die noch heute als Anregung zu vorbildlichem christlichem Lebenswandel dienen:
„Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so sucht, was droben ist ...“ – Kol. 3,1 –
„Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist. Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott.
Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit. So tötet nun die Glieder, die auf Erden sind, Unzucht, Unreinheit, schändliche Leidenschaft, böse Begierde und die Habsucht, die Götzendienst ist. Um solcher Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. In dem allen seid auch ihr einst gewandelt, als ihr noch darin lebtet. Nun aber legt alles ab von euch: Zorn, Grimm, Bosheit, Lästerung, schandbare Worte aus eurem Munde; belügt einander nicht; denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Werken ausgezogen und den neuen angezogen, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Ebenbild dessen, der ihn geschaffen hat ...
So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!
Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar. Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.“ (Kol. 3,1-17).
Das Leben im „Reich Gottes“ beginnt hier auf Erden. Als Mitglieder dieser „neuen Gemeinde des Messias“ sind wir aufgerufen, „die Ideale seiner Herrschaft in der Welt zu vertreten und so der Welt eine alternative soziale Realität aufzuzeigen ... Der Sohn Gottes blieb nicht in der sicheren Immunität seines Himmels. Er entäußerte sich seiner Herrlichkeit und erniedrigte sich, um zu dienen. Er wurde klein, schwach und verwundbar. Er erfuhr unseren Schmerz, unsere Entfremdung und unsere Versuchungen. Er verkündete nicht nur die frohe Botschaft vom Reich Gottes, sondern stellte unter Beweis, dass es bereits angebrochen war, indem er Kranke heilte, Hungernde speiste, Sündern vergab, Geächteten Freundschaft entgegenbrachte und Tote auferweckte ... Dieses Christus-Bild erleichtert uns das Verständnis des Auftrags Jesu, wie er im Johannes-Evangelium (20,21) wiedergegeben ist: ,Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.‘ Denn wenn die christliche Mission dem Vorbild der Mission Christi folgen soll, sind wir alle – wie Christus – aufgerufen, hinauszugehen in die Welt zu anderen Menschen und Völkern.“ [8]
Gott ist durch Jesus Christus in unsere Welt und in das Leben eines jeden von uns getreten. Wenn wir ihn aufnehmen, wird er bei uns wohnen durch die Gegenwart des Heiligen Geistes. Erst dann können wir seine Gegenwart – seine Liebe, seine Anteilnahme, sein Leben – mit anderen teilen und unser neues Leben für ihn leben.
Das Christentum ist keine Angelegenheit akademischen Interesses. Es geht nicht um ein Wissensgebiet, eine Theorie oder gar ein abstraktes Konstrukt aus Glaubenssätzen. Es geht um eine reale, alltägliche, lebendige Erfahrung. Die oben erwähnten Bibelpassagen zur „christlichen Lebensführung“, zur „Frucht des Geistes“ und zur Liebe vermitteln ausgesprochen praktische Anweisungen, die es im täglichen Umgang mit den Mitmenschen zu verwirklichen gilt. Unser Glaube daran – und an den Einen, der uns diese Regeln gegeben hat, damit wir unser Leben an ihnen ausrichten – findet dann seinen Ausdruck, wenn wir sie im täglichen Leben befolgen. „Nicht das, was der Mensch isst, macht ihn stark, sondern das, was er verdaut; nicht das, was wir gewinnen, macht uns reich, sondern das, was wir sparen; nicht das, was wir lesen, macht uns gebildet, sondern das, woran wir uns erinnern; nicht das, was wir predigen oder beten, macht uns zu Christen, sondern das, was wir tun und glauben.“ Die Worte des englischen Philosophen, Staatsmannes und Essayisten Francis Bacon (1561-1626) treffen den Kern christlicher Lebensführung. Im Christentum geht es darum, was wir glauben und was wir aufgrund unserer Glaubensüberzeugung tun.
In Anlehnung an das apostolische Glaubensbekenntnis formulieren wir unser Glaubensbekenntnis wie folgt:
Wir glauben:
An Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde.
An Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist und geboren von der Jungfrau Maria.
Er hat gelitten unter Pontius Pilatus.
Er wurde gekreuzigt, er starb und wurde begraben. Er stieg hinab zu den Toten. Am dritten Tage ist er auferstanden.
Er ist aufgefahren in den Himmel und sitzt zur Rechten des Vaters. Er wird wiederkommen, um die Lebenden und die Toten zu richten.
An den Heiligen Geist, die Heiligkeit der christlichen Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung des Leibes und das ewige Leben.
Dieser Glaube verwandelt uns. Und unsere Wandlung findet Tag für Tag Ausdruck, indem wir in unseren alltäglichen Begegnungen, seien sie gut oder schlecht, freudig oder tragisch, ein „neues Leben in Christus“ führen.
Ein Brief aus alten Zeiten vermag uns etwas von der Gegenwärtigkeit christlichen Lebens in unserer Welt zu vermitteln. Er wurde von einem anonymen Verfasser im 2. Jahrhundert nach Christus geschrieben und schildert eindrucksvoll, welch einfache und dennoch sehr reale Wirkung Christen im Geiste Gottes auf die Welt ausüben können: „Christen unterscheiden sich von der übrigen Menschheit nicht durch Land oder Sprache oder Gebräuche; es ist nicht so, dass sie in eigenen Städten lebten oder einen fremden Dialekt sprächen oder irgendwelche eigentümlichen Gewohnheiten pflegten. Sie ... bedienen sich keiner besonderen Redeform; ... obgleich sie ... die Landesbräuche hinsichtlich Kleidung, Essen und anderen Dingen des täglichen Lebens einhalten, legen sie doch zugleich Zeugnis ab von der bemerkenswerten ... Verfassung ihrer Gemeinschaft. Sie wirken auf Erden, aber ihre Wohnstätte ist im Himmel ... um es einfach auszudrücken; was die Seele für den Körper ist, das sind die Christen für die Welt.“ (Brief an Diognetus, spätes 2. Jahrhundert).
Sie wirken auf Erden, aber ihre Wohnstätte ist im Himmel ... Unser neues Leben soll gelebt werden – in Gemeinschaft mit anderen.
Wir hoffen, dass Ihnen die Folgen unseres Bibelstudiums geholfen haben, den christlichen Glauben zu verstehen und anzunehmen. Zugleich hoffen wir, dass damit eine Grundlage für weiteres Wachstum und Entwicklungspotenzial in Ihrem Leben geschaffen werden konnte.
„Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen“ – Eph. 3,20-21 –
„Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.“ – 1. Kor. 2,9 –
Lesen Sie den Römerbrief mehrmals durch, um sich einen genauen Überblick über den christlichen Glauben und seine Ausübung zu verschaffen. Schreiben Sie sich Themen und Aspekte auf, die Ihnen für Ihr eigenes Leben wichtig erscheinen.
Lesen Sie noch einmal die drucktechnisch hervorgehobenen Stellen in dieser Folge: Wie steht es in Ihrem Leben mit der „Frucht des Heiligen Geistes“, dem „Hohelied der Liebe“ und den „Regeln zur christlichen Lebensführung“?
Welche Herausforderungen an eine christliche Lebensführung erkennen Sie in Ihrem eigenen Leben? Wie könnten Sie auf diese Herausforderungen reagieren, wenn Sie die hier erörterten Bibelpassagen zugrunde legen? Welche Möglichkeiten sehen Sie, um Ihrem neuen Leben in Jesus Christus Ausdruck zu geben? Vertrauen Sie Gott diese Bereiche Ihres Lebens im Gebet an; bitten Sie ihn um seine Führung und seinen Beistand.
„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ – 2. Kor. 13,13 – ❏
Dieses Bibelstudium erschien zuerst unter dem Titel Foundations of Faith als Beilage von Living Today, der australischen Zeitschrift der GCI.
[2] Green, J. B., McNight, S., Hrsg., Dictionary of Jesus and the Gospels (InterVarsity Press, 1992), S. 469.
[3] Ebenda.
[4] Ebenda, S. 470.
[5] Gaebelein, F. E., Hrsg., The Expositor’s Bible Commentary, Band 9 (Regency, 1981), S. 109.
[6] McGrath, S. 25.1]
[7] Barclay, W., The Daily Study Bible: Romans (Rev. Ausgabe) (The Saint Andrew Press, 1979), S. 86.
[8] Stott, J., Issues Facing Christians Today (Harper Collins Religious, 1990), S. 7, 21.