Hauskreis-Bibel-Lektion
13. Gnade. Die wunderbare Gnade – und Sie …

Johns Mutter las ihrem Sohn jeden Tag aus der Bibel vor und hielt ihn zum Beten an. John war ein kluger Junge – er konnte schon im Alter von vier Jahren lesen und war mit vielen Bibelstellen vertraut. Als seine Mutter starb, war er erst sieben Jahre alt, aber später im Leben sollte ihm bewusst werden, dass all das, was sie ihm beigebracht hatte, ihn nie verlassen hatte. Er hingegen hatte sich abgekehrt. Und er musste auch daran denken, wie sie unter Tränen für ihn gebetet hatte.

Sein Vater war beruflich viel unterwegs, so dass John nie eine wirklich enge Beziehung zu ihm entwickelt hatte. Als dieser wieder heiratete, wurde dem geistlichen Leben, das die Mutter ihrem Sohn so sorgfältig hatte nahebringen wollen, im neuen Zuhause wenig Beachtung geschenkt.

John ging früh von der Schule ab und verpasste mangels Selbstdisziplin mehr als eine Berufschance. Er galt als intelligent, und mehrfach wurde ihm die Möglichkeit geboten, Führungsverantwortung zu übernehmen, aber die Kombination aus Mangel an Disziplin einerseits und scharfem Verstand andererseits führte dazu, dass er bei Kollegen und Arbeitgebern ständig „aneckte“. Doch in den Zwanzigern gelang es John, immer wieder auf die Beine zu kommen, so dass er schließlich sorglos in den Tag hinein lebte. „Ich bildete mir allmählich sogar ein, ich wäre glücklich“, meinte er im Nachhinein.

Noch annehmbarer wurde das Leben, als man John einen neuen Job angeboten hatte. Er genoss sein Ansehen, reiste erster Klasse und hatte wenig zu tun. Dieses Umfeld trug dazu bei, dass John in seiner Lebenseinstellung immer arroganter wurde. Er ging bewusst dazu über, den christlichen Glauben seines Vorgesetzten zu sabotieren. Er führte eine Gruppe von Kollegen auf eine Dschungel-Expedition – ohne Karte, Kompass oder Waffen zur Verteidigung gegen die dort lebenden wilden Tiere. Wer ihn so erlebte, konnte sich ob seines verantwortungslosen Verhaltens nur wundern.

Eine verwunderliche Geschichte
Einmal hatte sich John in betrunkenem Zustand von einem Boot aus ins tiefe Wasser gestürzt, obwohl er nicht schwimmen konnte. Viele, die ihn kannten, hatten mehr als einmal Anlass, sich darüber zu verwundern, dass er wieder mal mit dem Leben davongekommen war. Gelegentlich erinnerte er sich an den Glauben seiner Kindheit, aber sein Gewissen hatte sich bei seiner bisherigen Lebensführung derart verhärtet, dass er sich sagte: „Verurteilung oder Gnade, das kann mich doch überhaupt nicht beeindrucken.“

„Gott macht uns ein Angebot, das jenseits unseres Verstandes, jenseits unseres Verdienstes und jenseits unserer wildesten Hoffnungen liegt.“

Ein Wendepunkt trat ein, als John eine Seefahrt unternahm. John war immer schon eine Leseratte gewesen und hatte sich nun die Schrift Imitatio Christi von Thomas von Kempen noch einmal vorgenommen. Er hatte das Buch zwar schon einmal gelesen, aber die Aussage als solche war ihm nicht recht klar geworden. Diesmal war das anders. Er fragte sich: „Und wenn all dies doch wahr ist?“ Das Schiff geriet in einen Sturm und wäre um Haaresbreite gesunken. Der Mannschaft gelang es schließlich, die Lecks mit Kleidung und alten Brettern zu schließen, aber keiner mochte darauf vertrauen, dass das Schiff sie sicher an Land bringen würde. In Anbetracht des Sturmschadens rief John, so erinnerte er sich später, laut aus: „Wenn das nicht reicht, gnade uns Gott!“ Augenblicklich wurde ihm bewusst, was er da gesagt hatte, und er fragte sich: „Welche Gnade könnte es für mich noch geben?“ Wohl wissend, dass sein Leben und das Leben der anderen Seeleute auf dem Spiel stand, begann John in der Bibel zu lesen und zu beten. Er fand zu der Überzeugung, dass es einen Gott gab und dass die Heilige Schrift tatsächlich die Botschaft Gottes an die Menschheit verkündete.

Doch nachdem John diese Seefahrt überlebt hatte, schwand der neu gefundene Glaube. John war nachhaltig bemüht, aber bei all seinen Reisen und infolge seiner eigenen Wesensart und mangelnder Unterstützung durch christliche Glaubensbrüder kam ihm sein Glaube in den nächsten sechs Jahren mehr und mehr abhanden. Ausgerechnet in dieser Zeit seines inneren Kampfes bestand er darauf, dass seine Mitarbeiter regelmäßig an Bibelkursen und Gottesdiensten teilnahmen – was diese ihm sehr verübelten; fast wäre es zu einem Aufstand gekommen. Erst die Begegnung mit einem Christen, der in demselben Beruf arbeitete wie er und ihn im Gespräch herausforderte, anregte und ermutigte, führte dazu, dass John in seinem Glaubensverständnis mehr und mehr bestärkt wurde.

Er heiratete und begann schließlich ein neues Leben – weit weg von seiner früheren Existenz als Kapitän einer Sklavengaleere. Er widmete sich ganz der Arbeit des Evangeliums. Aber es sollte noch viele Jahre dauern, bis John Newton den Text zu einem der bekanntesten geistlichen Lieder der Welt schrieb.

Die klassische Hymne „Amazing Grace“ beginnt mit den folgenden Worten:

Amazing Grace, how sweet the sound
That saved a wretch like me
I once was lost, but now am found
Was blind, but now I see.

[Wunderbare Gnade, wie süß der Klang, der einen Unglückseligen wie mich erlöst hat. Ich war verloren, bin nun gefunden, war blind, doch kann nun sehen.]

Die Lebensgeschichte von John Newton ist weithin bekannt; seine Erfahrung findet in der Hymne kraftvollen Ausdruck. Seine Geschichte ist dramatisch und ermutigend zugleich: Wenn es Gnade für John Newton – den Sklavenhändler, Trunkenbold, Faulpelz und ungehobelten, vom Glauben abgefallenen Toren – gab, können auch wir auf Gnade hoffen.

Unverständliche Gnade
So dürfte kaum überraschen, dass sich Newton besonders durch das Gleichnis Jesu vom verlorenen Sohn (Luk. 15) angesprochen fühlte. In diesem Gleichnis berichtet Jesus von einem Sohn, der in seiner Respektlosigkeit und seinem Unverstand sein Erbteil fordert – was dem Wunsch gleichkommt, der Vater möge tot sein; und dann bringt er sein Erbe durch, zerstört seinen guten Ruf und ist gezwungen, unter Säuen zu leben. Er kehrt nach Hause zurück in der Hoffnung, auf dem Gut seines Vaters als Tagelöhner angenommen zu werden. Er weiß, dass er alle Brücken abgebrochen und kein Anrecht mehr hat, als Sohn Aufnahme zu finden. Doch zu seiner eigenen Verwunderung tritt der Vater aus dem Haus, eilt ihm entgegen, um ihn willkommen zu heißen, nimmt ihn voller Freude wieder in die Familie auf und veranstaltet sogar ein großes Freudenfest für alle Anwesenden. Eigentlich ist dies eine völlig unverständliche Geschichte. Sie ist ungerecht, unfair. Ihr kultureller Hintergrund musste die damaligen Zuhörer schockieren. Sie vermittelte ein Zerrbild der Gerechtigkeit! Genau deshalb hat Jesus das Gleichnis erzählt: Er wollte seinen Zuhörern eindringlich verständlich machen, dass uns Gott etwas anbietet, was jenseits unseres Verstandes, jenseits unseres Verdienstes und jenseits unserer wildesten Hoffnungen liegt. Lukas berichtet, dass unmittelbar vor dem Gleichnis Jesu vom verlorenen Sohn „allerlei Zöllner und Sünder [nahten], um ihn zu hören. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen“ (Luk. 15,1-2). Wie konnte dieser der Messias sein? Wie konnte dieser der Sohn Gottes sein? Wie konnte dieser überhaupt ein Mann Gottes sein?

Das ist Gnade. Gottes wunderbare Gnade. Ein nicht durch uns gerechtfertigtes, unverdientes, nicht käuflich zu erwerbendes, unerwartetes – unverständliches – Geschenk Gottes an uns. Diese Gnade konnte einen unglückseligen Mann wie John Newton retten. Und sie hat unglückselige Menschen wie uns alle errettet. Bis auf den heutigen Tag.

Denn Jesus hat zu denen, die über seine Gemeinschaft mit den Sündern missbilligend den Kopf schüttelten, gesagt: „Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken ... Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten“ (Matth. 9,12-13). Sünder wie John Newton – und wie wir.

Die Gnade Gottes findet Ausdruck in der Person Jesu Christi und seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung für uns. Gottes Gnade ist die wohl tiefste Erfahrung, die uns in unserem Leben zuteilwird. Umso betrüblicher ist, dass die christliche Bibel, die diese Botschaft der Gnade offenbart, von vielen Leuten mittlerweile nicht nur als überholt, sondern auch als eine unverständliche Sammlung von Vorschriften angesehen wird – lediglich dazu angetan, unserem Leben jede Freude zu vergällen und uns aufgrund unserer Unzulänglichkeit zu verdammen. Aber diese Sichtweise ist schlimmer noch als betrüblich – sie vermittelt ein Zerrbild!

In den Psalmen heißt es: „Du aber, Herr, Gott, bist barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte und Treue“ (Ps. 86,15). Der mitfühlende und gnädige Gott gab sich in der Person Jesu Christi zu erkennen: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit ... Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade“ (Joh. 1,14;16). Deshalb sind Christen bemüht, dem Apostel Paulus zu folgen und „zu bezeugen das Evangelium von der Gnade Gottes“ (Apg. 20,24).

Lebendige Gnade
Gnade ist nicht einfach eine „augenblickliche“ Begegnung mit Gott. Sie bedeutet vielmehr den Einstieg in ein neues Leben: „So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln“ (Röm. 6,4). „Dieses neue Leben ist ein Leben des Wachstums und der lebenslangen Erfahrung, wie reichlich die Gnade Gottes ist.

„Das „neue Leben“ ist ein Leben, zu dem wir durch Gnade Zugang erhalten und das wir in der Kraft der Gnade führen können, wie der Apostel Paulus der Gemeinde zu Ephesus schrieb: „In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, nach dem Reichtum seiner Gnade, die er uns reichlich hat widerfahren lassen in aller Weisheit und Klugheit ... Unter ihnen haben auch wir alle einst unser Leben geführt in den Begierden unsres Fleisches und taten den Willen des Fleisches und der Sinne und waren Kinder des Zorns von Natur wie auch die andern. Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr selig geworden ... Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen ... So ermahne ich [Paulus] euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid ... legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet. Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit ... So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch ... Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist“ (Eph. 1,7-8; 2,3-5. 10; 4,1. 22-24; 5,1-2. 8-10).

Paulus erläutert, dass diese neue Lebensführung – diese hohe Berufung durch Gott – möglich wird durch Gottes „überschwänglich große... Kraft an uns, die wir glauben“ (Eph. 1,19). Paulus sagt, dass „die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde, mit der er in Christus gewirkt hat. Durch sie hat er ihn von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel ...“ (Verse 19-20). Und an späterer Stelle fügt er noch hinzu, dass Gott „überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt ...“ (Eph. 3,20). Unser neues Leben in Christus befreit uns zu einem Leben, das sinnvoll und erfüllend ist – im Kontext der Ewigkeit. Auch unser Leben kann ein lebendiges Zeugnis ablegen für Gottes wunderbare Gnade, denn Gott lebt in uns und tut seinen Willen kund in unserem Leben auf Erden „wie im Himmel“, wie es im Vaterunser heißt (Matth. 6,9-13).

Gottes Wille auf Erden geschieht in und durch unser neues Leben in Christus, wenn wir uns dem ständigen Wirken seiner Gnade hingeben. In seinem Brief an die Korinther schrieb Paulus: „Gott aber kann machen, dass alle Gnade unter euch reichlich sei, damit ihr in allen Dingen allezeit volle Genüge habt und noch reich seid zu jedem guten Werk“ (2. Kor. 9,8). Gottes Gnade wird nicht widerwillig gegeben und ist nicht knapp bemessen – Gott schüttet seine Gnade aus in einem Maße, dass wir alles haben, was wir brauchen.

So können wir unser neues Leben beginnen – vertrauensvoll, zuversichtlich und guten Mutes in Gottes „wunderbarer Gnade“. Wir können ihm unser Leben voll und ganz anvertrauen – wir können sein „Werk“ sein, wir können „der Berufung würdig leben, mit der wir berufen sind“, wir können uns „in unserem Geist und Sinn erneuern“ und „den neuen Menschen anziehen, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“, wir können „Gottes Beispiel folgen als die geliebten Kinder und in der Liebe leben“, wir können „als Kinder des Lichts leben“. Wunderbar und erstaunlich! Aber wahr.

Fünf Möglichkeiten, Gnade zu erfahren
Es gibt fünf Möglichkeiten, wie wir das fortgesetzte Wirken von Gottes wunderbarer Gnade erfahren und unsere Erfahrung mit anderen teilen können.

1. Freiheit
Die Gnade Gottes befreit uns von der Sünde und macht es uns möglich, unser neues Leben so zu leben, wie es Gott wohlgefällt; sie befreit uns zum wahren Leben.

„Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger“, hat Jesus gesagt, „ und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh. 8,31-32). Und im Weiteren erläutert er, was seine Worte bedeuten und wie gerade solche Menschen, die sich ihrer Unfreiheit gar nicht bewusst sind, im Grunde in Knechtschaft leben: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. Der Knecht bleibt nicht ewig im Haus; der Sohn bleibt ewig. Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei“ (Verse 34-36). Unsere Freiheit ist uns von Gott selbst gegeben worden. Die Fesseln der Sünde sind gesprengt. Wir sind freie Menschen, keine Knechte. Unser Leben ist uns wieder gegeben worden.

Doch diese Freiheit ist kein Freibrief für Sünde, wie Paulus den Römern in großer Ausführlichkeit erläutert. Einige Menschen waren – und sind – der Ansicht, Gottes Gnade sei ein Freibrief für Sünde, ohne dafür eine Strafe zu empfangen. „Was sollen wir nun sagen? Sollen wir denn in der Sünde beharren, damit die Gnade umso mächtiger werde? Das sei ferne! Wie sollten wir in der Sünde leben wollen, der wir doch gestorben sind? ... So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebt Gott in Christus Jesus. So lasst nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, und leistet seinen Begierden keinen Gehorsam. ... Denn indem ihr nun frei geworden seid von der Sünde, seid ihr Knechte geworden der Gerechtigkeit“ (Röm. 6,1-2. 11-12. 18).

Gnade befreit uns zu einem Leben, wie es Gott gefällig ist. Gnade befreit uns aus der Knechtschaft der Sünde zu der Freiheit, das Rechte zu tun. Wir brauchen die Macht der Sünde nicht zu fürchten. Gnade erweckt in uns den Wunsch, Gott zu Ehren leben zu wollen. Es ist erstaunlich, aber wahr: Wir können die Kraft, für Gott zu leben, fordern – von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt und mit allen unseren Kräften.

2. Kraft
Die Freiheit, die uns gegeben worden ist, entbehrt aber weder Zweck noch Unterstützung. Wir sind nicht auf uns gestellt. Vielmehr wirkt die Kraft der Gnade Gottes in unserem Leben in ehrfurchtgebietender Weise, wie Paulus in seinem Brief an die Epheser schrieb: „Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns, die wir glauben, weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde, mit der er in Christus gewirkt hat. Durch sie hat er ihn von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel“ (Eph. 1,18-20). Und an späterer Stelle heißt es, dass diese Kraft „in uns wirkt“ und dass Gott „überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen“ (Eph. 3,20).

Es ist eine Kraft, der Versuchung der Sünde zu widerstehen. Es ist eine Kraft, das Rechte zu tun. Es ist eine Kraft, der Liebe Gottes Ausdruck zu verleihen. Es ist eine Kraft, die Gnade Gottes in der Welt zu erweisen und einander zu vergeben, wie uns vergeben worden ist (Eph. 4,32), und ihn in uns nach seinem Willen und Plan wirken zu lassen. „Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen“ (Phil. 2,13).

Manchmal erfahren wir die Kraft und die Stärke Gottes in Zeiten unserer größten Schwäche. So berichtet auch Paulus, er hätte Gott angefleht, ihn aus einer Qual zu erretten, der er sich ausgesetzt sah. „Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark“ (2. Kor. 12,9-10).

In der vorigen Folge unseres Bibelstudiums haben wir davon gesprochen, dass Gott uns für die Reise des Glaubens gerüstet hat. „Alles, was zum Leben und zur Frömmigkeit dient, hat uns seine göttliche Kraft geschenkt durch die Erkenntnis dessen, der uns berufen hat durch seine Herrlichkeit und Kraft“, schrieb der Apostel Petrus. „Durch sie sind uns die teuren und allergrößten Verheißungen geschenkt, damit ihr dadurch Anteil bekommt an der göttlichen Natur, die ihr entronnen seid der verderblichen Begierde in der Welt“ (2. Petr. 1,3-4). Wir haben nicht nur alles bekommen, „was uns zum Leben und zur Frömmigkeit dient“, sondern sind auch berufen worden zum „Anteil an der göttlichen Natur“.

Gottes wunderbare Gnade gibt uns die Kraft zu einer heiligen Lebensführung.

3. Genügsamkeit
Haben Sie sich schon einmal bei dem Gedanken oder den Worten „Wenn doch nur ...“ ertappt? Wir verbringen unter Umständen einen Großteil unseres Lebens auf diese „Wenn doch nur“-Weise: Wenn ich doch nur ... im Lotto gewinnen ... ein neues Auto bekommen ... einen anderen Partner finden ... klügere Kinde haben ... selbst gescheiter sein ... gesünder sein ... jünger/älter sein ... einen besseren Job haben ... ein größeres Haus besitzen ... weniger Schulden haben ... würde! Manchmal kann Unzufriedenheit Auslöser für einen positiven Wandel sein. Aber genauso oft, wenn nicht häufiger, kann Unzufriedenheit auch Sünde bedeuten. Vielleicht hängt der Mangel an Genügsamkeit als eine so alltägliche Erfahrung mit unserem „gefallenen Zustand“ zusammen, in dem wir leben, bevor wir durch Gottes Gnade befreit werden. Doch wenn wir diese Gnade erfahren haben, müssen wir dankbar für viel mehr sein, als wir uns je hätten wünschen können.

„Die Frömmigkeit aber ist ein großer Gewinn für den, der sich genügen lässt. Denn wir haben nichts in die Welt gebracht; darum werden wir auch nichts hinausbringen. Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so wollen wir uns daran genügen lassen. Denn die reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Verstrickung und in viele törichte und schädliche Begierden ...“ (1. Tim. 6,6-9).

Paulus träumte nicht etwa von einem Ideal, als er diese Worte an Timotheus schrieb. Vielmehr sagte er an anderer Stelle: „ ... ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie’s mir auch geht. Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides, Überfluss haben und Mangel leiden; ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht“ (Phil. 4,11-13). Jesus Christus, die Gnade Gottes, ist das Geheimnis der Genügsamkeit. Wir brauchen nicht „in Versuchung geführt“ zu werden (was häufig genug durch Unzufriedenheit geschieht).

Genügsamkeit. Frieden. Ruhe. All dies gehört zu den Segnungen der wunderbaren Gnade Gottes. „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken“, sagte Jesus. „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht“ (Matth. 11,28-30).

„Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden!“, sagte Paulus. „Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus“ (Phil. 4,6-7).

Hier ist ein ermutigender Gedanke: Gott ist mit uns zufrieden – wir genügen Gott. (Lesen Sie in diesem Zusammenhang die folgenden Schriftstellen: Luk. 15,3-10; Röm. 8,28-39; 1. Kor. 12; Eph. 3,14-19; Phil. 1,3-6.) Er hat uns einen Platz im Leib Christi angewiesen zu seinem Wohlgefallen. Er pflegt Umgang mit uns nach seinem Wohlgefallen. Er lässt uns Gaben und Rüstzeug zuteilwerden nach seinem Wohlgefallen. Er ist bereit, auf dass wir ihm dienen – wo immer wir sind. Wenn wir glauben können, dass Gott mit uns zufrieden ist, so verspüren wir plötzlich keinen Drang mehr, uns mit anderen vergleichen zu wollen. Es geht uns nicht mehr darum, andere zu beneiden oder zu beurteilen, mit ihnen Schritt zu halten und zu wetteifern, um ein Selbstwertgefühl zu entwickeln. Wahre, gesunde Selbstachtung basiert auf einem Verständnis dessen, wie Gott uns ansieht – seine geliebten, kostbaren Kinder, denen er sein Königreich geschenkt hat.

Wenn Sie unzufrieden sind, sollten Sie sich auf das konzentrieren, was Gott getan hat: Schauen Sie auf das Kreuz Jesu, lesen Sie noch einmal die Evangelien und fragen Sie sich, welche Besitztümer, die Sie nicht haben, besser sein könnten als die, die Sie haben: Vergebung, Versöhnung mit Gottes Liebe, Geborgenheit in Gott, Wertschätzung durch Gott. (Und wenn uns dies alles nicht zufrieden stellt – was ist es dann, das wir wollen?)

4. Führung
Als Jesus von seinen Jüngern Abschied nahm, erinnerte er sie daran, er sei „der Weg“ (Joh. 14,6). Und dann sagte er ihnen, er werde sie nun verlassen. Aber er versprach ihnen in seiner „Abschiedsrede“ die Gabe des Heiligen Geistes, der unter ihnen wohnen sollte: „Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein“ (Joh. 14,16-17).

Gottes Gnade reicht so weit, dass sie unser Leben in „dem Weg“ führt. Paulus sagte, wir hätten „Christus in [uns]“ (Kol. 1,27; Eph. 3,15). „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ , schrieb er in seinem Brief an die Galater (2,20). Es ist nicht nur so, dass wir „dem Weg“ folgen – er führt uns.

„Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, wenn denn Gottes Geist in euch wohnt ... Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen ... Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder“ (Röm. 8,9-14).

Der Heilige Geist führt uns zu einem Leben in „Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit ... Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln“ (Gal. 5,22-25). Gottes erstaunliche, wunderbare Gnade ist nicht dazu angetan, uns zu „lieben und zu verlassen“ – vielmehr liebt sie und leitet sie uns.

5. Gnade gegenüber unseren Mitmenschen
„Die Welt hungert nach Gnade“, schreibt Philip Yancey. [1] Gottes Gnade gibt uns die Kraft, Erstaunliches in unserer Welt zu bewirken, indem wir seine Gnade unseren Mitmenschen zuteil- werden lassen! Wozu hat Gott uns dieses Rüstzeug geschenkt, wenn wir seine Gnade nicht auch in unsere Welt tragen und zum Ausdruck bringen? Die göttliche Natur, an der Teil zu haben Christen berufen sind, verlangt danach, Gnade walten zu lassen. „Gott ist die Liebe“ , sagt uns Johannes (1. Joh. 4,8).

Wenn Gott die Liebe ist und diese Liebe in seiner „unverständlichen“ Gnade zum Ausdruck bringt und wenn wir alles bekommen haben, was wir für unser Leben und unsere Frömmigkeit brauchen, so dass wir an der göttlichen Natur als der Liebe, die Ausdruck in Gnade findet, teilhaben können – ja, dann sollte unser Leben zumindest etwas von dieser unverständlichen Gnade widerspiegeln und ausdrücken. Die Aufforderung, wir sollen „unsere Feinde lieben“, kann entmutigend sein – bis wir uns daran erinnern, dass wir selbst Feinde Gottes waren und er dennoch beschloss, uns zu lieben (und nicht nur zu dulden); uns so zu lieben, dass er uns in seine Familie einlädt; uns so zu lieben, dass er uns das ewige Leben schenkt; uns so zu lieben, dass er uns an der göttlichen Natur teilhaben lässt. Vergebung ist ein Ausgangspunkt dafür, unseren Mitmenschen Gnade zu erweisen. Denken wir daran, was George Herbert einmal gesagt hat: „Wer anderen nicht vergeben kann, reißt die Brücke ein, über die er selbst gehen muss.“

Das ist entmutigend. Das ist unverständlich. Aber nicht länger unmöglich. Denn wir haben die Freiheit der Vergebung, die Kraft der Vergebung, die Genügsamkeit der Vergebung, die Führung der Vergebung durch den Heiligen Geist erfahren. Wir haben die wunderbare Gnade Gottes erfahren, damit wir geben, wie uns gegeben worden ist.

Aktive Gnade
Das Leben unter der Gnade ist keine passive Erfahrung. Es ist eine Erfahrung, die unseren aktiven, engagierten Glauben verlangt – einen Glauben in der täglichen vertrauensvollen Nachfolge Jesu Christi. Paulus schrieb an die Römer, unsere vernünftige Antwort auf Gottes Gnade solle sein, „dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist ...“ (Röm. 12,1).

„Heilige Lebensführung verlangt also, dass wir unser Leben und unsere Energie mit all unseren Fähigkeiten in den Dienst Jesu Christi stellen.“ [2]

Indem wir die Gnade Gottes ausleben, befolgen wir das „große Gebot“: „... du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften“ – und auch das andere große Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mark. 12,30-31).

Es ist eine wunderbare Erfahrung, wenn unser Leben von der Gnade Gottes berührt wird. Und es ist auch etwas Wunderbares, dass wir unsere Mitmenschen mit dieser Gnade berühren können – durch unser Leben.

Zum Nachdenken und Diskutieren
Lassen Sie sich die hier erörterten fünf Möglichkeiten, Gnade zu erfahren, noch einmal durch den Kopf gehen:

  • Was bedeutet die durch Gnade gewährte „Freiheit“ in Ihrem Leben? Welche Beispiele können Sie nennen, wie sich die Freiheit der Gnade auf Ihre Lebensführung ausgewirkt hat?
  • Wenn Sie an die „Kraft“ denken, die Gnade bewirkt – in welchen Bereichen Ihres Lebens können Sie die Wirkung dieser Kraft oder die Notwendigkeit für ein Wirken dieser Kraft erkennen?
  • Was veranlasst Sie derzeit zu Unzufriedenheit? Denken Sie darüber nach, wie Ihre Erfahrung der Gnade Gottes Ihnen bei der Bewältigung dieser Unzufriedenheit helfen könnte.
  • In welcher Weise sind Sie in Ihrem Leben von Gott geführt worden?
  • Können Sie fünf Menschen in Ihrem Leben nennen, denen Sie Gnade zuteilwerden lassen könnten? Auf welche Weise?

Bibelstellen, die Sie nachlesen und überdenken sollten ...
In dieser Folge haben wir Passagen aus den Paulus-Briefen an die Römer, Epheser und Philipper zitiert. Vielleicht möchten Sie diese Briefe nun in voller Länge lesen, um sich ein umfassendes Bild von dem zu machen, was Paulus zur Gnade Gottes und ihrer Wirkung auf unser Leben zu sagen hatte.

„Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen.“ - 1. Korinther 15,10 -

„Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.“ - Philipper 2, 13 -

Glossar
In jeder Ausgabe können Wörter, Begriffe oder Ausdrücke vorkommen, die dem Leser nicht vertraut sind. Wir sind zwar bemüht, unnötige fachsprachliche Wendungen zu vermeiden, aber manchmal sind dies die einzig passenden oder zutreffenden Formulierungen.

Taufe – Gemäß der Bedeutung „in Wasser tauchen“ ist die Taufe eine rituelle Waschung, die unsere innere Reinigung und Erneuerung durch Jesu Opfer für uns symbolisiert. Die Feier der Taufe ist ein öffentliches Bekenntnis unseres Glaubens an unsere Erneuerung in Christus.

Der „verlorene Sohn“ – Das Gleichnis vom „verlorenen Sohn“ bezieht sich auf einen Menschen, der verschwenderisch mit Hab und Gut umgeht und sein Erbe verprasst.

Fußnoten:
[1] Yancey, Ph., What’s so Amazing About Grace? (Strand, 2000), S. 42.
[2] MacArthur, J. F. Jr., Our Sufficiency in Christ (Word, 1991), S. 198.


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